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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter
Autoren: Oliver Pötzsch
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einen Gefallen schuldig. Ohne mich wäre er jetzt kein Abt mehr, ein anderer hätte seinen Platz eingenommen.«
    Von irgendwoher ertönte ein langgezogener, schriller Schmerzensschrei. Nepomuk zuckte zusammen.
    »Mein Gott, wer war das?«, hauchte er.
    »Oh, ich fürchte, das war dieser andere. Pater Jeremias und Pater Benedikt haben zwar bereits alles gestanden, doch Meister Hans hofft, ihnen doch noch ein paar Kleinigkeiten entlocken zu können. Schließlich wird er ja nach Leistung bezahlt.«
    Nepomuk blieb einen Moment lang der Mund offen stehen. Er musste sich kneifen, um sich zu überzeugen, dass dies wirklich kein Traum war.
    »Du meinst, der … der Andechser Prior ist dort drüben und …«, begann er stockend.
    Jakob Kuisl drückte ihn sanft wieder zu Boden. »Das ist eine lange Geschichte. Ich werd dir alles erzählen, doch zunächst wollen wir es uns in dieser stinkenden Kemenate wenigstens ein bisserl gemütlich machen.« Augenzwinkernd zog der Henker eine zweite lange Stielpfeife und einen Schlauch Wein unter seinem Mantel hervor.
    »Ich dachte, wir könnten vielleicht ein wenig über die alten Zeiten plaudern«, schlug er leutselig vor. »Das hatte ich dir bei unserer letzten Begegnung im Andechser Kerker schließlich versprochen. Erinnerst du dich?« Er bot Nepomuk die Pfeife an und hob den prall gefüllten Weinsack.
    »Auf die Freundschaft!«, prostete er dem Apotheker zu.
    »Auf … die Freundschaft.«
    Müde lächelte Nepomuk den Henker an. Aus seinen verquollenen Augen rannen plötzlich Tränen, und sie hatten nichts mit dem dichten Tabakrauch zu tun.

Dienstag, der 22. Juni Anno Domini 1666,
irgendwo bei Schongau
    A n einem Dienstag gegen acht Uhr morgens kniete Jakob Kuisl vor einem kleinen unscheinbaren Marterl unweit seiner Heimatstadt. Das Kreuz war mit Efeu überwachsen und stand ein wenig abseits des Weges, so dass der Henker nicht befürchten musste, von jemandem entdeckt zu werden. Kuisl hatte schon lange nicht mehr ge­betet, die Worte fielen wie sperrige Brocken aus seinem Mund. »Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name …«
    Kuisl dachte an die verrückte Alte im Kiental, die ihn aufgefordert hatte, Buße zu tun. So viel war in den letzten Jahrzehnten geschehen, so viel Schuld hatte er auf sich geladen, dass ein simples Gebet dafür sicher nicht ausreichte.
    Aber es war immerhin ein Anfang.
    »Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.«
    Der Henker schlug ein Kreuz, erhob sich ächzend und folgte dann weiter der Straße, die von Peiting nach Schongau führte.
    Er war den ganzen gestrigen Tag bei seinem Freund ­Nepomuk in Weilheim geblieben; sie hatten gemeinsam getrunken, geraucht und sich vor allem viel von ihrer Zeit im Großen Krieg erzählt. Kuisl hatte Nepomuks Wunden gereinigt, mit Salbe bestrichen und mit Verbänden um­wickelt. Der Henker wusste aus langjähriger Erfahrung: Die Verletzungen würden in ein paar Wochen verheilt sein, doch die seelischen Wunden würden bleiben. In seinen Träumen würde Nepomuk ein Leben lang von der Folter heimgesucht werden.
    Schließlich hatte der Henker seinem Freund versprochen, ihn schon bald wieder zu besuchen, und war dann im Schatten des Hohenpeißenbergs gemächlich Richtung Schongau gewandert. Magdalena, Simon und die Kinder hatten sich direkt von Andechs aus auf den Weg gemacht, Kuisl ver­mutete, dass sie schon vor ihm zu Hause angekommen waren.
    Als der Henker nun die in der Morgensonne schimmernde Silhouette der Stadt vor sich sah, durchfuhr ihn ein seltsames Gefühl von Vertrautheit. Dieses Schongau dort auf der anderen Seite des Flusses hatte ihn nie leiden können. Die Bürger wichen Kuisls Blick aus; wer von ihm kuriert werden wollte, tat dies meist in aller Heimlichkeit. Nach dem Kauf eines magischen Talismans, eines Liebestranks, eines Stücks Galgenstrick schlugen sie hinterher ein Kreuz und gingen zum Beichten in die Kirche. Doch trotz alledem war diese kleine schmutzige, gehässige Stadt seine Heimat.
    Er hatte keine andere.
    Nachdenklich schritt Kuisl über die Brücke und ging dann auf schmalen, schattigen Pfaden unterhalb der Stadtmauer entlang. Das Gebet zuvor im Wald hatte ihn mit einem angenehmen, unvertrauten Gefühl der Geborgenheit erfüllt. Doch dann fielen ihm seine zwei jüngeren Kinder ein, die Zwillinge Georg und Barbara. Hatten sie diese räudigen Berchtholdt-Buben in der Zwischenzeit in die Schranken weisen können? Hatten sie sich um den Dreck
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