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Der Hexer - NR10 - Wenn der Stahlwolf erwacht

Der Hexer - NR10 - Wenn der Stahlwolf erwacht

Titel: Der Hexer - NR10 - Wenn der Stahlwolf erwacht
Autoren: Verschiedene
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dünne, senkrechte Falte. »Er war ein alter Narr«, sagte sie kalt. »Er hat versucht, sich gegen mich zu stellen. Genau wie Sie, Craven.« Sie schüttelte den Kopf. »Warum haben Sie meine Warnungen mißachtet, Robert?« fragte sie.
    Ich antwortete nicht, sondern stand – nach einem weiteren, ängstlichen Blick auf die Ratten – vollends auf, nahm auch meinen Stockdegen wieder an mich und schob ihn in seine Hülle zurück. Meine Wade schmerzte so stark, daß ich kaum stehen konnte.
    »Warum sind Sie gekommen, Roben?« fragte Cindy noch einmal.
    »Warum?« Ich versuchte zu lachen, brachte aber nur einen krächzenden Laut zustande. »Warum haben Sie mich von Ihren Bestien herlocken lassen, wenn Sie nicht wollten, daß ich komme? Spielen Sie keine Spielchen mit mir, Cindy – oder wer immer Sie sind.« Ein absurder Trotz machte sich in mir breit, und ich fügte wider besseres Wissen hinzu: »Meinetwegen bringen Sie mich um wie diesen armen Teufel da, aber behandeln Sie mich nicht wie einen Trottel.«
    »Gerufen?« Das Mädchen mit Cindys Gesicht – irgend etwas in mir sträubte sich dagegen, sie auch nur in Gedanken Cindy zu nennen, denn ich spürte genau, daß ich alles andere als einen Menschen vor mir hatte – sah mich fragend an. »Niemand hat Sie gerufen, Robert. Im Gegenteil. Ich habe Ihnen mehr als eine Warnung zukommen lassen, sich aus dieser Angelegenheit herauszuhalten. Was haben Sie damit gemeint – gerufen!«
    Verwirrt blickte ich erst sie, dann die quirlende Rattenarmee und dann wieder sie an. Eine dumpfe Ahnung stieg in mir empor, ohne daß ich das Gefühl zu diesem Zeitpunkt bereits in Gedanken fassen konnte. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich noch einmal die Ratte zu sehen, die Kilian und mich hierher begleitet hatte. Irgend etwas war an ihr gewesen, das sie von den graubraunen Tieren unterschied, die die Straße wie ein lebender Teppich bedeckten. Aber ich wußte nicht zu sagen, was. Noch nicht.
    »Reden Sie!« sagte das Mädchen. Ihr Engelsgesicht verdunkelte sich vor Zorn.
    Ich tat das einzige, was mir übrig blieb – ich schwieg verstockt, und nach einer Weile gab die Fremde mit einem resignierenden Seufzer auf. »Wie Sie wollen, Robert«, sagte sie. »Es spielt auch keine Rolle mehr. Sie haben meine Warnung mißachtet und müssen die Folgen tragen.«
    »Wollen Sie mich Ihren Bestien zum Fraß vorwerfen?« fragte ich trotzig.
    Cindy blickte mich mit einem fast mitleidigen Blick an. »Sie sind so dumm, Robert«, sagte sie bedauernd. »So furchtbar dumm. Warum konnten Sie nicht einfach in London bleiben und –«
    »Und Lady Audley ihrem Schicksal überlassen?« unterbrach ich sie. »Oder genauer gesagt – Ihrer Willkür?«
    Seltsamerweise reagierte das Mädchen nicht zornig, wie ich halbwegs erwartet hatte, sondern im Gegenteil eher traurig. Sekundenlang blickte sie mich aus ihren großen, grundlosen Augen an, dann deutete sie auf das Haus direkt hinter mir. »Gehen Sie, Robert.«
    Ich gehorchte. Flankiert von annähernd zweihundert Ratten überquerte ich die Straße, stieß die Tür auf und trat gebückt in den einzigen Raum des kleinen Hauses.
    Der Anblick, der sich mir bot, ließ mich frösteln. Das Zimmer war so, wie ich es erwartet hatte – ärmlich eingerichtet und nicht sonderlich sauber. Überall waren Ratten, und der Gestank der Tiere hing wie eine Pestwolke in der Luft und nahm mir fast den Atem.
    Und auf einem Stuhl an der Rückseite des Zimmers saß Lady Audley. Ihr Gesicht war bleich wie Kalk, aber sie war bei Bewußtsein und schien – wenigstens auf den ersten Blick – unverletzt zu sein. Rasch durchquerte ich den Raum und kniete neben ihrem Stuhl nieder.
    »Lady Audley!« sagte ich erschrocken. »Sie leben! Sind Sie gesund?«
    Die alte Dame starrte mich an. Ihre Lippen zitterten, und in ihren Augen glitzerten Tränen. Langsam, wie unter einem inneren Zwang, hob sie die Hand, berührte meine Wange und zog die Finger so rasch wieder zurück, als hätte sie sich verbrannt.
    »Robert«, murmelte sie. »Sie... Sie hätten nicht kommen sollen.«
    »Es wird alles gut«, sagte ich. »Keine Sorge, Lady Audley. Ich... ich bringe Sie hier heraus; irgendwie.« Es war einer dieser blöden Sprüche, von denen man ganz genau weiß, wie unsinnig sie sind, aber diesmal verfehlte er seine Wirkung. Lady Audley schüttelte bloß den Kopf, berührte wieder meine Wange und lächelte traurig. Eine einzelne, glitzernde Träne lief über ihr Gesicht.
    »Nichts wird gut, Robert«, sagte sie
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