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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller
Autoren: Arto Paasilinna
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stamme aus Ilmajoki, andere meinten, er sei aus Satakunta, Laitila oder Kii­ koinen nach Südlappland gekommen. Irgend jemand hatte ihn gefragt, warum er in den Norden gezogen sei. Darauf hatte der Müller erwidert, ihm sei im Süden die Mühle abgebrannt und dabei sei auch seine Frau ums Leben gekommen. Die Versicherung habe ihm keine von beiden ersetzt.
    »Sie verbrannten gleichzeitig«, hatte Gunnar Huttunen erklärt und den Frager seltsam eisig angesehen.
    Nachdem er die Knochen seiner Frau aus den ver­ kohlten Trümmern der Mühle geklaubt und auf den Friedhof gebracht habe, habe er sein nun so schauriges Mühlengrundstück und das Wassernutzungsrecht ver­ kauft und die Gegend verlassen. Zum Glück habe er hier im Norden eine akzeptable Mühle gefunden, und wenn sie auch noch nicht in Betrieb sei, so reichten doch die Einkünfte von der Schindelmaschine, um einen allein­ stehenden Mann zu ernähren.
    Die Kanzlistin der Kirchengemeinde wußte jedoch zu berichten, laut Eintrag in den Kirchenbüchern sei der Müller Junggeselle. Wie kann so einem Mann die Frau verbrennen? Darüber wurde im Dorf viel gerätselt. Die Wahrheit über die Vergangenheit des Müllers fand jedoch niemand heraus, und schließlich verloren die Leute das Interesse daran. Sie sagten sich, dort im Süden seien schließlich auch früher Weiber verbrannt oder verbrannt worden und trotzdem seien immer noch genug davon vorhanden.
    In Gunnar Huttunens Leben gab es hin und wieder lange Phasen der Depression. Dann unterbrach er plötz­ lich ohne ersichtlichen Grund die Arbeit und starrte in die Ferne. Seine dunklen Augen glommen qualvoll in den Höhlen, sein Blick war stechend scharf und gleich­ zeitig traurig. Sah er dem Gesprächspartner in die Au-gen, dann brannte und beunruhigte sein Blick. Wer mit Huttunen während seiner düsteren Stimmung sprach, dem wurde traurig und ein wenig unheimlich zumute.
    Aber nicht immer war der Müller finster! Häufig sogar war er sehr ausgelassen, und das ohne besonderen Anlaß. Er scherzte, lachte, war vergnügt und machte mit seinen langen Beinen die komischsten Sprünge; er knackte mit den Fingergelenken, fuchtelte mit den Ar­ men, verdrehte den Hals, redete und zappelte. Er erzähl­ te großartige, aber absurde Witze, hielt die Leute gründ­ lich zum Narren, haute den Bauern auf die Schulter, lobte sie über den grünen Klee, lachte ihnen ins Gesicht, zwinkerte vergnügt, klatschte in die Hände.
    Während Huttunens guten Phasen pflegte sich die Jugend des Dorfes in der Mühle zu versammeln, um am Treiben des ausgelassenen Müllers teilzuhaben. Man saß wie in guten alten Zeiten in der Mühlenstube bei­ sammen, scherzte und riß Witze. Im friedlichen und gemütlichen Halbdunkel, umgeben von den geheimnis­ vollen Gerüchen der alten Mühle, waren alle froh und glücklich. Manchmal entzündete Gunnar, Kunnari, wie die Einheimischen sagten, auf dem Hof der Mühle ein loderndes Feuer, in das man trockene Späne warf und in dessen Glut man Maränen aus dem Kemifluß röstete.
    Der Müller war ungewöhnlich begabt darin, die Tiere des Waldes nachzuahmen: Er schlüpfte in die verschie­ densten Gestalten, und die Zuschauer rieten um die Wette, welches Tier jeweils gemeint war. Mal wurde der Müller zu einem Hasen, mal zu einem Lemming oder Bären. Manchmal imitierte er mit seinen langen Armen das Schweben einer nächtlichen Eule, dann wieder heulte er wie ein Wolf, hob das Gesicht zum Himmel und klagte so herzzerreißend, daß die jungen Leute furchtsam näher zusammenrückten.
    Oft ahmte er Frauen und Männer aus dem Dorf nach, und die Zuschauer erkannten sofort, wer gemeint war. Wenn Huttunen sich klein und rund machte, was starke Verrenkungen von ihm erforderte, wußten alle, daß er seinen nächsten Nachbarn, den dicken Bauern Viittavaara, darstellte.
    Es waren bemerkenswerte Sommerabende und –näch­ te, doch mußte man manchmal wochenlang darauf warten, denn Gunnar Huttunen versank zwischendurch immer wieder in seine stille Düsterkeit. Dann wagte sich kein Dorfbewohner ohne triftigen Grund zur Mühle, und wer hinging, erledigte seine Sache schnell und ohne Aufheben, denn die gedrückte Stimmung des Müllers vertrieb die Besucher.
    Allmählich wurden Huttunens zeitweilige Depressio­ nen immer schwerer. Er war dann mürrisch, seine Nerven waren angespannt, und er schnauzte ohne Grund die Leute an. Manchmal war er so finster und böse, daß er sich weigerte, die bestellten Schindeln herauszurücken,
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