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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Autoren: Christopher Hitchens
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die Atombombe an sich zu reißen. Unter der lähmenden Herrschaft der Religion ist die großartige, erfindungsreiche und hoch entwickelte Kultur Persiens völlig aus dem Tritt geraten. Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle sind überwiegend im Exil oder werden von der Zensur mundtot gemacht. Frauen sind Eigentum und sexuelle Beute der Männer. Die meisten jungen Leute verfügen nur über eine Halbbildung und sind arbeitslos. Nach einem Vierteljahrhundert theokratischer Herrschaft exportiert der Iran noch das Gleiche wie zu Beginn dieser Theokratie: Pistazien und Teppiche. Moderne und technischer Fortschritt sind an dem Land vorübergegangen – einzige Ausnahme ist die Atomtechnik.
    Damit erreicht die Konfrontation von Glaube und Kultur eine völlig neue Stufe. Bis vor nicht allzu langer Zeit mussten die Länder, die den geistlichen Weg einschlugen, einen hohen Preis dafür bezahlen. Ihre Gesellschaft verkam, die Wirtschaft schrumpfte, die Talente verkümmerten oder verließen das Land, und ständig wurden diese Länder von Gesellschaften ausgestochen, die gelernt hatten, ihren religiösen Impuls zu zähmen und vom Staat zu trennen. Ein Land wie Afghanistan verrottete. Als wäre das nicht schon schlimm genug, wurde von dort die heilige Order ausgegeben, am 11. September 2001 zwei berühmte Errungenschaften der Moderne – den Wolkenkratzer und das Flugzeug – für ein Menschenopfer zu missbrauchen. In der folgenden Phase, die in hysterischen Predigten unzweideutig angekündigt wurde, sollten sich apokalyptische Nihilisten mit Weltuntergangswaffen ausrüsten. Die gläubigen Fanatiker waren nicht imstande gewesen, etwas Nützliches oder Schönes wie einen Wolkenkratzer oder ein Passagierflugzeug zu erschaffen. Doch in Fortsetzung ihrer langen Tradition des Plagiats konnten sie sich ihrer bemächtigen und sie negativ ummünzen.
    Dieses Buch handelt von einer der ältesten Auseinandersetzungen der Menschheitsgeschichte. Fast jede Woche, in der ich daran gearbeitet habe, musste ich meinen Schreibtisch verlassen und in die laufende Debatte eingreifen. Die Auseinandersetzungen wurden zunehmend hässlicher: Statt mit einem wortgewandten alten Jesuiten in Georgetown zu diskutieren, musste ich in die dänische Botschaft eilen, um meine Solidarität zu bekunden, während andere Botschaften Dänemarks in Flammen aufgingen, weil in einer Zeitung in Kopenhagen ein paar Karikaturen erschienen waren. Diese jüngste Konfrontation war besonders deprimierend. Als Reaktion darauf, dass islamische Banden die diplomatische Immunität verletzten und Todesdrohungen gegen einfache Bürger ausstießen, verdammten Seine Heiligkeit der Papst und der Erzbischof von Canterbury – die Karikaturen! In meinem Gewerbe wetteiferten die Kollegen um die schnellste Kapitulation, indem sie über die strittigen Bilder berichteten, ohne sie zu zeigen – und das zu einer Zeit, in der die Massenmedien bereits fast ausschließlich vom Bild beherrscht sind. Euphemistisch wurde getönt, man müsse »Respekt« zeigen, doch ich kenne eine Reihe der betreffenden Chefredakteure und kann mit Bestimmtheit sagen, dass das Hauptmotiv für ihre »Zurückhaltung« schlichtweg Angst war. Anders ausgedrückt: Einer Handvoll religiöser Rabauken und Maulhelden gelang es, die Tradition der freien Meinungsäußerung in ihrem Herkunftsgebiet, nämlich den westlichen Ländern, auszuhöhlen. Und das im Jahre 2006! Zum niederen Motiv der Angst kommt der moralisch träge Relativismus hinzu: Einer nichtreligiösen Gruppe, die anderen Gewalt androht und antut, hätte man niemals einen so leichten Sieg ermöglicht, und erst recht hätte man ihr keine Entschuldigungen zurechtgelegt – nicht dass die Täter selbst welche geliefert hätten.
    In der Zeitung war derweil zu lesen, die größte Studie, die jemals zum Gebet durchgeführt wurde, habe ergeben, dass es keinerlei Korrelation zwischen einem Fürsprachegebet und der Genesung eines Patienten gebe, abgesehen vielleicht davon, dass Patienten, die wissen, dass ein Gebet für sie gesprochen wird, nach einer Operation häufiger unter Komplikationen leiden als diejenigen, die es nicht wissen – was meines Erachtens nichts beweist. An anderer Stelle wurde berichtet, dass engagierte und geduldige Forscher in einem entlegenen Teil der kanadischen Arktis mehrere Skelette eines großen Fisches gefunden haben, der vor dreihundertfünfundsiebzig Millionen Jahren lebte und Zehen, Proto-Handgelenke, Ellbogen und Schultern aufweist.
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