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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Autoren: Christopher Hitchens
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Dieses Tier, dem die im Nunavut-Territorium lebenden Inuit den Namen Tiktaalik gaben, ist neben dem Archäopteryx, einer Übergangsform zwischen Dinosauriern und Vögeln, eines der lang gesuchten fehlenden Bindeglieder, die uns weitere Aufklärung über unsere Herkunft erlauben. Derweil belagerten Vertreter des »Intelligent Design« wieder einmal eine Schulbehörde und forderten, man möge den Kindern ihren Schund beibringen. Vor meinem inneren Auge entwickelten sich diese konträren Ereignisse zu einer Art Rennen: Während Forschung und Vernunft einen winzigen Schritt nach vorne taten, gelang den Kräften der Barbarei ein gewaltiger und bedrohlicher Sprung – diese Leute wissen, dass sie recht haben, und wollen, wie Robert Lowell es in einem anderen Kontext einmal schrieb, eine eiserne Herrschaft der Frömmigkeit errichten. [FUSSNOTE82]

    Die Religion rühmt sich gar eines speziellen Zweiges ihrer selbst, der sich dem Studium der letzten Dinge widmet. Er nennt sich »Eschatologie« und brütet unaufhörlich über dem Hinscheiden alles Irdischen. Dieser Todeskult will einfach kein Ende nehmen, obwohl wir allen Grund zu der Annahme haben, dass uns außer den »irdischen Dingen« nichts erwartet. Vor uns aber liegen die für sich schon lohnende Erforschung und Erklärung eines ganzen Kosmos. Sie eröffnen dem Durchschnittsmenschen ein Wissen, über das nicht einmal Darwin oder Einstein verfügten, und versprechen an Wunder grenzende Fortschritte in der Medizin, der Energiegewinnung und dem friedlichen Austausch zwischen den Kulturen. Und dem ziehen Millionen von Menschen in allen Gesellschaften die Mythen der Höhlen, Sippen und Blutopfer vor. Der verstorbene Stephen Jay Gould entwickelte die NOMA-Theorie (non-overlapping magisteria), nach der Wissenschaft und Religion zwei Gebiete sind, die sich nicht überlappen, was nicht ausschließt, dass sie völlig gegensätzlich sind.
    Der Religion gehen die Rechtfertigungen aus. Dank des Fernrohrs und des Mikroskops hat sie keinerlei wichtige Erklärungen mehr zu bieten. Wo sie einst durch ihre völlige Kontrolle der Weltsicht in der Lage war, das Aufkommen von Rivalen zu verhindern, kann sie heute die messbaren Fortschritte, die gemacht werden, nur noch behindern und verzögern – oder versuchen, sie rückgängig zu machen. Manchmal, das ist wahr, räumt sie Fortschritte raffiniert ein. Das geschieht allerdings nur zu dem Zweck, sich selbst die Wahl zu lassen zwischen Bedeutungslosigkeit und Obstruktion, zwischen Machtlosigkeit und offenem Widerstand, und wenn sie dann die Wahl hat, entscheidet sie sich reflexhaft für die schlechtere der beiden Möglichkeiten. Konfrontiert mit ungeahnten Erkenntnissen über unser noch in der Entwicklung befindliches Gehirn, die entferntesten Bereiche des bekannten Universums und die Proteine und Säuren, aus denen wir bestehen, hat die Religion den Untergang im Namen Gottes anzubieten oder das falsche Versprechen, dass wir, wenn wir unsere Vorhaut mit dem Messer traktieren, in die richtige Himmelsrichtung beten oder eine Hostie zu uns nehmen, »errettet« werden. Das ist, als werfe jemand von einer köstlichen und duftenden Frucht, die mühsam und liebevoll außerhalb der Saison in einem speziellen Treibhaus gezogen wurde, Fruchtfleisch und Saft weg und kaue missmutig auf dem Kern herum.
    Was wir vor allem brauchen, ist eine neue Aufklärung, die als zentrale Forschungsgebiete der Menschheit den Menschen anerkennt, Mann und Frau. Diese Aufklärung stützt sich nicht mehr wie ihre Vorgängerin auf heroische Einzelerfolge einiger weniger genialer und außergewöhnlich mutiger Menschen. Sie ist für jeden Durchschnittsmenschen erreichbar. Das Studium der Literatur sowohl um ihrer selbst als auch um der zeitlosen ethischen Fragen willen, mit denen sie sich befasst, kann heute die Lektüre heiliger Texte ablösen, die sich als korrupt and konstruiert entpuppt haben. Die ungehinderte wissenschaftliche Forschung und die breite Verfügbarkeit neuer Erkenntnisse mittels einfacher elektronischer Hilfsmittel wird Wissenschaft und Entwicklung revolutionieren. Sehr wichtig ist auch die Trennung von Sexualleben auf der einen und Angst, Krankheit und Tyrannei auf der anderen Seite, die zumindest möglich wird, wenn nur erst alle Religionen aus der Debatte verbannt sind. All das und mehr ist zum ersten Mal in unserer Geschichte für alle Menschen erreichbar, ja zum Greifen nahe.
    Nur ein naiver Utopist kann aber davon ausgehen, dass sich diese neue
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