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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Autoren: Christopher Hitchens
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Alten ebenso wie die törichten Mythen des Neuen Testamentes, um Gott zu rechtfertigen. Keine ehrwürdige und edle Gottheit, so Paine, sollte solche Gräueltaten und Torheiten verantworten müssen. Paines Zeitalter der Vernunft brachte erstmals offene Verachtung für die organisierte Religion zum Ausdruck und hatte weltweit enorme Wirkung. Amerikanische Freunde und Zeitgenossen, die sich zum Teil von ihm hatten inspirieren lassen, die Unabhängigkeit von den Usurpatoren aus dem Hause Hannover und ihrer anglikanischen Privatkirche zu erklären, erreichten derweil etwas Großartiges und noch nie Dagewesenes: Sie schrieben eine demokratische und republikanische Verfassung, in der Gott nicht vorkommt und Religion nur im Zusammenhang mit der Garantie erwähnt wird, sie stets vom Staat zu trennen. Fast alle amerikanischen Gründerväter starben ohne priesterlichen Beistand, auch Paine. Noch in seinen letzten Stunden wurde er von religiösen Rowdys belästigt, die ihn drängten, Christus als seinen Erlöser anzuerkennen. Wie David Hume lehnte er solchen Trost rundweg ab, und sein Andenken überdauerte die verleumderischen Gerüchte, denen zufolge er am Ende doch noch um die Versöhnung mit der Kirche gebettelt habe. Dass Gottesleute solche Reuebekundungen auf dem Sterbebett herbeiführen wollten oder gar nachträglich erfanden, lässt auf einen höchst mangelhaften Glauben aufseiten der Gläubigen schließen. [FUSSNOTE79]

    Charles Darwin kam noch zu Paines und Jeffersons Lebenszeit zur Welt, und sein Werk konnte endlich dem Wissensdefizit abhelfen, mit dem sie im Bereich des Ursprungs der Pflanzen und Tiere und anderer Naturphänomene noch zu kämpfen hatten. Doch selbst Darwin war, als er seine Forschungen als Botaniker und Naturhistoriker aufnahm, ziemlich sicher, dass er im Einklang mit Gottes Plan handelte. Immerhin hatte er Geistlicher werden wollen. Mit jeder neuen Entdeckung versuchte er sein Wissen mit dem Glauben an eine höhere Intelligenz in Einklang zu bringen. Wie Edward Gibbon wusste er im Voraus, dass die Veröffentlichung seiner Forschungen kontrovers aufgenommen würde, und bereitete sich vorsorglich – nicht so umfangreich wie Gibbon allerdings – schon einmal auf seine Verteidigung vor. Am Anfang machte er sich gar selbst Vorwürfe, die sehr nach dem Unsinn klangen, den die Vertreter des »Intelligent Design« heute gern verbreiten: Nun, da wir die unwiderlegbaren Beweise für die Evolution vor Augen haben, lässt sich da nicht mit Fug und Recht behaupten, dass Gott noch viel großartiger ist, als wir es bisher angenommen haben? Da er aber selbst davon nicht restlos überzeugt war, fürchtete er, seine ersten Schriften zur natürlichen Auslese würden seine Reputation ruinieren, gerade so, als hätte er einen Mord gestanden. Wollte er je den Nachweis führen, dass eine Anpassung an den Lebensraum stattgefunden hat, das war ihm bewusst, würde er etwas noch viel Beunruhigenderes eingestehen müssen: dass es keine erste Ursache, keinen großen Plan gibt.
    Die Symptome der so vertrauten Verschleierung und Verschlüsselung durchziehen die gesamte erste Ausgabe des Buches Die Entstehung der Arten. Der Begriff Evolution taucht überhaupt nicht auf, wohingegen das Wort Schöpfung recht häufig fällt. (Interessanterweise trugen Darwins erste Notizbücher aus dem Jahr 1837 den vorläufigen Titel Die Transmutation der Arten, der wie der archaischen Alchemistensprache entnommen klingt.) Auf der Titelseite fand sich dann ein Zitat des offenbar als respektabel geltenden Francis Bacon, nach dem es nicht nur das Wort Gottes, sondern auch sein Werk zu studieren gelte. In Die Abstammung des Menschen wagte sich Darwin etwas weiter aus der Reserve, ließ den Text aber immer noch durch seine fromme und geliebte Frau Emma redigieren. Nur in seiner Autobiografie, die nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war, und in einigen Briefen an Freunde räumte er ein, dass er seinen Glauben eingebüßt habe. Seine »agnostische« Schlussfolgerung hatte viel mit seinem Leben und seiner Arbeit zu tun: Er hatte zahlreiche Verluste erlitten, die er nicht mit einem liebevollen Schöpfer, geschweige denn mit der christlichen Lehre einer ewigen Bestrafung vereinbaren konnte. Wie viele noch so kluge Menschen neigte er zu jener Egozentrik, die über Wohl oder Wehe des Glaubens entscheidet und voraussetzt, dass sich das Universum mit unserem Schicksal befasst. Darwins wissenschaftliche Stringenz erscheint in diesem Lichte allerdings umso
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