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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Autoren: Christopher Hitchens
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Zivilisation der Erde damals am äußersten Rande der ihm bekannten Welt lag. So, wie Newton und Galilei auf Demokrit und Epikur aufbauten, so beeinflusste Spinoza Einstein, der auf die entsprechende Frage eines Rabbiners energisch antwortete, er glaube nur an »Spinozas Gott«, nicht aber an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Taten der Menschen befasse. [FUSSNOTE70]

    Spinoza entjudaisierte seinen Namen, indem er sich den Vornamen Benedikt gab, und überlebte den Bann von Amsterdam um zwanzig Jahre. Er pflegte einen ruhigen und rationalen Konversationsstil und starb überaus stoisch an Glasstaub, der ihm in die Lunge eingedrungen war: Er hatte sich dem Schleifen von Linsen für Teleskope und medizinische Geräte gewidmet, eine angemessene wissenschaftliche Tätigkeit für einen, der die Menschen lehrte, genauer hinzusehen. »Alle unsere heutigen Philosophen, vielleicht oft ohne es zu wissen«, schreibt Heinrich Heine »sehen sie durch die Brillen, die Baruch Spinoza geschliffen hat.« [FUSSNOTE71]
    Heines Gedichte wiederum wurden später von geistlosen Nazis, die einem assimilierten Juden nicht einmal zugestehen wollten, ein richtiger Deutscher zu sein, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die verängstigten, rückständigen Juden, die Spinoza ächteten, hatten eine Perle weggeworfen, die wertvoller war als ihr gesamter Stamm. Der Leichnam ihres mutigsten Sohnes wurde nach seinem Tod entwendet und zweifellos weiteren Ritualen der Entweihung unterworfen.
    Spinoza hatte das zum Teil kommen sehen. Seinen Briefen fügte er das Wort Caute! (»Vorsicht!«) hinzu, mit einer kleinen Rose darunter. Und nicht nur das war sub rosa: Für den Druck seines gefeierten Buches Tractatus gab er einen falschen Namen an und ließ auf der Titelseite den Namen des Autors ganz weg. Sein verbotenes Werk, das seinen Tod nur durch den Mut und Einsatz eines Freundes überdauerte, lebte in den Schriften anderer weiter. Pierre Bayle widmete Spinoza in seinem 1697 erstmals erschienenen Historischen und kritischen Wörterbuch den längsten Eintrag. Montesquieus Vom Geist der Gesetze wies dermaßen enge Bezüge zu Spinozas Schriften auf, dass der Autor von der kirchlichen Obrigkeit in Frankreich gezwungen wurde, sich von dem jüdischen Monster zu distanzieren und öffentlich seinen Glauben an einen (christlichen) Schöpfer zu erklären. Die große Enzyklopädie, herausgegeben von Diderot und d’Alembert, in der später der Begriff der Aufklärung definiert wurde, enthält einen umfangreichen Eintrag über Spinoza.
    Einen schweren Fehler christlicher Apologeten möchte ich nicht wiederholen: Völlig überflüssigerweise gaben sie sich große Mühe nachzuweisen, dass weise Männer, die vor Christi Geburt gelebt hatten, im Grunde Propheten und Kündiger seines Kommens waren – noch im 19. Jahrhundert verschwendete William Ewart Gladstone viel Papier auf den Versuch, für die antiken Griechen einen solchen Beweis zu erbringen. Es steht mir nicht zu, Philosophen vergangener Epochen als Vorläufer des Atheismus zu vereinnahmen. Allerdings kann ich sehr wohl darauf hinweisen, dass wir aufgrund der damals herrschenden religiösen Intoleranz nicht wissen, was sie privat dachten, und dass es uns beinahe verwehrt worden wäre zu erfahren, was sie öffentlich schrieben. Selbst der relativ konformistische Descartes, der es für ratsam hielt, sich in das zwanglosere Klima der Niederlande zu begeben, plante für seinen eigenen Grabstein Ovids lapidare Worte: »Wer verborgen gelebt hat, hat gut gelebt.«
    Im Falle Pierre Bayles und Voltaires beispielsweise ist es nicht so leicht zu entscheiden, ob sie religiös waren oder nicht. Methodisch neigten sie gewiss zur Respektlosigkeit und Satire, und ein Leser, der einem unkritischen Glauben anhing, wurde von ihren Werken in diesem Glauben schwer erschüttert. Ihre Schriften waren die Bestseller ihrer Zeit und machten es den Schichten, die neuerdings über Bildung verfügten, unmöglich, die biblischen Geschichten und anderes mehr weiterhin wörtlich zu nehmen. Insbesondere Bayle löste einen großen, aber heilsamen Tumult aus, als er David, den mutmaßlichen Autor der Psalmen, genauer unter die Lupe nahm und die Karriere eines skrupellosen Banditen offenlegte. Die Annahme, der Glaube veranlasse die Menschen zu einem besseren und der Unglaube zu einem schlechteren Benehmen, tat er als absurd ab und untermauerte dies mit einer langen Liste beobachtbarer Erfahrungen, was dazu führte, dass ihm lobend oder
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