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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Autoren: Christopher Hitchens
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ehe er seiner Königin, die er zur »Kaiserin von Indien« gemacht hatte, antwortete: »Die Juden, Ma’am.« Das weltliche, wenn auch abergläubische politische Genie sah im Überleben des jüdischen Volkes und seinem bewundernswert hartnäckigen Festhalten an seinen althergebrachten Riten und Geschichten ein Zeichen für das unsichtbare Wirken Gottes. Er selbst verließ da gerade das sinkende Schiff. Noch während er seine Worte sprach, überwanden die Juden zwei Formen der Unterdrückung. Die erste und augenscheinlichste war die Gettoisierung, die ignorante und bigotte christliche Behörden ihnen auferlegt hatten. Sie ist so gut dokumentiert, dass ich nicht näher darauf eingehen muss. Die zweite Form der Unterdrückung indes hatten sie sich selbst auferlegt. So hatte beispielsweise Napoleon Bonaparte die diskriminierenden Gesetze gegen Juden trotz einiger Vorbehalte aufgehoben – er mag dabei an ihre finanzielle Unterstützung gedacht haben, aber dies nur nebenbei. Doch als seine Armee in Russland einmarschierte, drängten die Rabbiner ihre Herde, sich ausgerechnet auf die Seite des Zaren zu stellen, der sie hatte diffamieren, verprügeln, ausplündern und ermorden lassen. Lieber haben wir diesen judenfeindlichen Despotismus, so die Rabbiner, als auch nur einen Hauch unheiliger französischer Aufklärung. Deshalb ist das törichte und ermüdende Melodrama, das sich in jener Amsterdamer Synagoge abspielte, bis heute so wichtig. Selbst in einem so toleranten Land wie Holland machten die verantwortlichen Rabbiner lieber gemeinsame Sache mit christlichen Antisemiten und anderen Obskuranten, als dem Besten unter ihnen zu gestatten, seiner Intelligenz freien Lauf zu lassen.
    Als die Mauern der Gettos fielen, befreite dieser Zusammenbruch die Bewohner deshalb nicht nur von den »Heiden«, sondern auch von den Geistlichen. Und nun konnten sich die Begabungen in einem Maß entfalten wie noch in kaum einer Epoche zuvor. Eine bis dahin gelähmte Bevölkerung trug nun erheblich zur Entwicklung der Medizin, der Wissenschaften, der Gesetzgebung, der Politik und der Künste bei. Der Widerhall ist bis heute spürbar; man denke nur an Marx, Freud und Einstein, Isaac Babel, Arthur Koestler, Billy Wilder, Lenny Bruce, Saul Bellow, Philip Roth, Joseph Heller und zahllose andere, die ein Produkt dieser doppelten Emanzipation sind.
    Wenn es einen absolut tragischen Tag in der Menschheitsgeschichte zu benennen gälte, so wäre es der, an den heute der nichtssagende und ärgerliche jüdische Feiertag Chanukka erinnert. Dieses eine Mal plagiiert nicht das Christentum den Judaismus, sondern die Juden lehnen sich schamlos an die Christen an, in dem erbärmlichen Versuch, eine Feier zeitgleich mit dem Weihnachtsfest abzuhalten, das seinerseits die quasichristliche Annektierung einer heidnischen, ursprünglich vom Polarlicht erhellten Sonnwendfeier in Nordeuropa ist. Das ist die Endstation, an die uns der banale »Multikulturalismus« gebracht hat. Die Motivation des Judas Makkabäus, im Jahr 165 v. Chr. den Tempel in Jerusalem erneut zu weihen und damit das Datum festzulegen, dessen heute an Chanukka mit Milde im Herzen gedacht wird, war allerdings nicht im Entferntesten multikulturell. Die Makkabäer, Begründer der hasmonäischen Dynastie, führten gewaltsam den mosaischen Fundamentalismus wieder ein, und zwar gegen die vielen Juden in Palästina und anderswo, die sich hatten vom Hellenismus beeinflussen lassen. Diese frühen Multikulturalisten langweilte das »Gesetz«, stieß die Beschneidung ab. Sie interessierten sich für griechische Literatur und die körperlichen und intellektuellen Übungen im Gymnasium und kannten sich in der Philosophie gut aus. Sie spürten die Anziehungskraft, die von Athen ausging, wenn auch nur über den Umweg über Rom und die Erinnerung an die Zeiten Alexanders, und sie konnten die nackte Angst und den Aberglauben des Pentateuch nicht ertragen. Den Dienern des alten Tempels waren sie zu kosmopolitisch, und sicher war es ein Leichtes, sie des Loyalitätskonfliktes zu bezichtigen, als sie in den Bau eines Zeustempels ausgerechnet auf dem Grundstück einwilligten, wo früher auf qualmenden und blutigen Altären die strenge Gottheit alter Zeiten milde gestimmt worden war. Als jedenfalls der Vater des Judas Makkabäus beobachtete, wie ein Jude auf dem alten Altar ein hellenisches Opfer bringen wollte, fackelte er nicht lange und ermordete ihn. Im Verlauf der nächsten Jahre wurden während der makkabäischen
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