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Der Herr des Traumreichs

Der Herr des Traumreichs

Titel: Der Herr des Traumreichs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Douglass
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aufeinander.
    Ravenna zuckte zusammen, dann trat sie mit dem Manteceros so dicht wie möglich an die beiden Gegner heran.
    Der Manteceros hustete und räusperte sich.
    Die Männer beachteten ihn nicht.
    »Der wahre König kann nur durch die Prüfung bestimmt werden«, sprach der Manteceros leise und nahm alle seine Kräfte zusammen, um zu tun, was getan werden mußte. »Nicht durch diesen sinnlosen Zweikampf.«
    Er hob den Kopf, aber seine Stimme blieb leise. »Gebt acht.
    Ich muß euch eine traurige Geschichte erzählen. Hört gut zu.
    Lebt mit.«
    Die Männer beachteten ihn immer noch nicht. Cavor hatte Maximilian mit einer Hiebfolge auf die Knie gezwungen, die gefährlicher war als alle bisherigen Schläge. Ravenna schrie leise auf. Maximilian hatte Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Zum ersten Mal hatte es den Anschein, als ließen die Kräfte des Prinzen nach.
    »Hört gut zu«, wiederholte der Manteceros. »Ihr müßt die Geschichte erleben.« Seine Augen waren in weite Fernen gerichtet, auf etwas, das viel trauriger war als der Kampf der beiden Bewerber um den Thron.
    »Es war einmal eine Frau in Ruen, die heiratete einen Schmied. Es dauerte nicht lange, und ihr erging es wie den meisten Ehefrauen. Ihr Leib schwoll an, und eines Tages nahte die Stunde, da sie ihr Kind gebären sollte. Ihr Mann schickte nach der Wehmutter, aber die hatte anderswo zu tun, und so kam die Hebamme aus dem nächsten Sprengel. Sie war kleingewachsen, aber kräftig, hatte eine schiefe Schulter und einen verkrüppelten Arm und schielte stark. Als sie das Zimmer betrat, schrie die Wöchnerin entsetzt auf, und die Hebamme war gekränkt.«

    Die Schwerter prallten so wütend aufeinander, daß ein Funkenschauer aufsprühte. Ravenna hatte nicht den Eindruck, als hätte einer der Männer den Manteceros gehört. Sie dagegen… sie stand mit im Geburtszimmer bei der Frau, aus deren Schoß sich das neue Leben ans Licht kämpfte.
    »Zur Strafe lehnte sich die Hebamme nur untätig zurück, als die Frau des Schmieds zu bluten begann. Der Lebenssaft verrann und sammelte sich im Bett zu großen Pfützen, die allmählich erkalteten. Endlich hob sie aus dem Blut ein kleines Mädchen heraus. Die Mutter tat noch einen letzten Atemzug, erschauerte und starb. ›Ich verfluche dich‹, schrie die Hebamme den Säugling an, ›zu einem Leben voller Jammer!‹
    Dann nahm sie ihre Instrumente, legte das Kind neben die tote Mutter und verließ den Raum.«
    Der Manteceros hielt inne, und Ravenna kehrte in die Gegenwart zurück und sah, daß auch Maximilian und Cavor innegehalten hatten. Vielleicht hörten sie ja doch zu?
    Doch schon klirrten wieder die Schwerter, und jeder bemühte sich nach Kräften, dem anderen das Leben zu nehmen.
    »Der Schmied trauerte um seine Frau, denn sie war ihm nützlich gewesen, und gab seiner kleinen Tochter die Schuld an ihrem Tod. Er brachte sie zu einer Amme, mißgönnte ihr aber jede Münze, die er bezahlen mußte, damit sie an den Brüsten der Frau saugen durfte. Als sie vier Jahre alt war, ließ er sie widerwillig in sein Haus zurückkehren. Der Schmied hatte bereits drei ältere Söhne und wollte die Tochter nicht haben, aber er mußte nun einmal für sie sorgen.«
    Der Manteceros schluchzte tief auf. Ravenna hörte durch die Nebel, die ihr Bewußtsein umfingen, wie Maximilian leise aufschrie. War er verletzt?
    »Das Kind wuchs heran, aber der Fluch der Wehmutter erfüllte sich, und sein Leben war voller Jammer. Vater und Brüder behandelten es mit einer Kälte und Gleichgültigkeit, in die sich oft genug auch Feindseligkeit mischte.
    Das Mädchen diente ihnen tagein, tagaus, niemals verließ es das Haus oder die Schmiede gleich daneben, niemals hob es den Kopf, niemals lächelte es. Es hatte ja auch keinen Grund dazu.«
    Die Bewegungen der beiden Männer waren langsamer geworden, nun standen sie gebückt, als trügen sie eine gewaltige Last. Ravenna hatte das Gesicht in die Mähne des Manteceros gedrückt, und ihre Schultern zuckten.
    Der Manteceros fuhr fort, doch auch ihm rollten dicke Tränen aus den Augen und über die Wangen. Ravenna drückte sich noch fester an ihn, streichelte und liebkoste ihn, um ihn zu trösten, und fand ihrerseits Trost in der Wärme seines Körpers.
    »Bald war aus dem Mädchen eine junge Frau geworden, doch ihre Tage blieben so grau und gleichförmig wie in ihrer Kinderzeit. Ihr einziges Glück waren einige Bücher, die ihr die Mutter hinterlassen hatte. Sie bewahrte sie unter ihrem Bett auf

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