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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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Konzentrierung auf die Hauptschauplätze Wien, Rom und Nettuno wollte ich dem Leser eine Perspektive auf diese Zeit anbieten, die er so vielleicht noch nie eing e nommen hat. Sicher kann man drüber streiten, ob ein U n terhaltungsroman, noch dazu ein fantastisch angehauchter, die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte thematisi e ren darf. Mir scheint jedoch, dass manches Bedenken für ein solches Unterfangen sich aus den Zweifeln nährt, dass Unterhaltendes, gar Fantastisches zugleich tiefgründig und ernsthaft sein kann. Trotzdem möchte ich – sieht man die Trivialität dessen, was uns »Nachrichtenmedien« immer wieder zu den grauenhaftesten Ereignissen auftischen – für solche Bücher eine Lanze brechen. Da es zudem Menschen geben soll, die emsig Belletristik lesen, aber nie eine Ze i tung oder ein Geschichtsbuch, mag man mir diesen Drahtseilakt zugestehen. Erinnern hat viele Facetten. Ja, Vergeben heißt nicht Vergessen, sondern es bedeutet Eri n nern ohne Groll. Menschen in Nettuno und im bayerischen Traunreut haben das schon lange erkannt – seit 1973 pfl e gen sie ihre Städtepartnerschaft. Solcherart Gedenken wehrt sich gegen schweigendes Verdrängen. Kraftvoll klingt es in den Worten der Dichterin Ingeborg Bachmann: »Umgreift die Zeit, schleudert sie ins Heute.«
     
    Zwischen dem 8. September 1943, als der »Achsenpar t ner« Italien aus dem Krieg ausschied, und dem 2. Mai 1945, als die Kapitulation der deutschen Wehrmacht samt SS und Polizei in Italien in Kraft trat, starben – ohne Berücksicht i gung der gefallenen Partisanen und regulären Soldaten s o wie der durch Kriegseinwirkungen getöteten Staatsbürger – täglich über einhundertundsechzig italien i sche Kinder, Frauen und Männer jeden Alters durch deu t sche Hand, sei es auf direkte oder auf indirekte Weise. Wenn auch za h lenmäßig geringer, können und dürfen die von den deu t schen Besatzern Italiens an den Juden bega n genen Gräuel nicht heruntergespielt werden.
    Gerne verweist man darauf, dass die mediterrane Variante des Antisemitismus bei weitem nicht so menschenverac h tend gewesen sei wie die deutsche. Umso befremdlicher fand ich einen mir während der Recherchen zum vorliege n den Roman aufgefallenen Artikel von Jedioth Yossi Bar. Unter dem Titel »Die Juden sollen nach Israel gehen« schrieb er am 6. Juli 2003: »18% der italienischen Jugen d lichen sind der Meinung, dass die Juden in Italien nach I s rael zurückkehren sollen, und ein ähnlicher Anteil der J u gendlichen behauptet, dass ›die Juden übertreiben, bei dem, was während des Holocausts passiert ist und mit dem Le i den, das sie durchgemacht haben‹.« Bei seinen Aussagen stützt sich Yossi Bar auf eine Studie, die von der Univers i tät Rom unter Schirmherrschaft der jüdischen Gemeinden Italiens erarbeitet wurde. Man habe unter zweitausendzwe i hundert Jugendlichen zwischen vierzehn und achtzehn Ja h ren im ganzen Land nach Anzeichen von Rassismus g e sucht. »Die Resultate sind beunruhigend«, sagte Professor Enzo Campelli, der die Untersuchung leitete. Der Artikel nennt noch »weitere Vorurteile unter italienischen Jugen d lichen, die bei der Studie ans Licht kamen: 23% meinten, man könne Juden nicht vollständig trauen, 34% glauben, dass ein Großteil der finanziellen Macht in der Welt unter jüdischer Kontrolle steht, und 22% sind davon überzeugt, dass die Juden sich anderen gegenüber überlegen glauben.«
     
    Obwohl oder gerade weil ich von der »Gnade der späten Geburt« begünstigt bin, hielt ich es im Licht solcher Fakten für lohnenswert, mich erneut der unbequemen Zeit zu n ä hern, die einige am liebsten vergessen machen wollen. Je tiefer ich mich in die Materie versenkte, desto aufregendere Schätze förderte ich zu Tage. Dazu gehören zweifelsohne die »echten« Menschen, die dem Roman Authentizität ve r leihen, auch wenn er immer eine frei erfundene Geschichte bleibt. Soweit historische Personen oder Institutionen darin auftauchen, werden sie in ein fiktives Geschehen gestellt. Gleichwohl ist es oft die Wirklichkeit, die am fantastisch s ten erscheint. Im Hinblick auf mein Personal mag als Be i spiel die sprachbegabte Signora Tortora genügen, die »als ungesellige Vettel verschrien, unordentlich und mit ihren um die Knie geringelten Seidenstrümpfen als Verkörperung der Schlampigkeit stadtbekannt« war. Sie hat tatsächlich in Nettuno gelebt und diente dem Secret Service als Spionin.
    Auch beim Streifzug durch Zeit und Raum fand
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