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Der Herr der Lüfte

Der Herr der Lüfte

Titel: Der Herr der Lüfte
Autoren: Michael Moorcock
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Bedeutung inne, die ich nicht begriffen hatte.
    Und dann wurde das Mittagessen aufgetragen, und er aß etwas kaltes Huhn und Salat. Die Mahlzeit schien ihm gut zu tun, denn seine Aussagen wurden nun klarer.
    »Ich will versuchen, von vorne anzufangen«, erklärte er, »und der Reihe nach alles bis zum Schluß zu erzählen, genauso, wie es sich zugetragen hat.«
    Ich hatte ein Notizbuch und mehrere Bleistifte bei mir. In den ersten Anfängen meiner Laufbahn hatte ich meinen Lebensunterhalt als Parlamentsreporter bestritten, und meine Kenntnisse in Kurzschrift kamen mir zugute, als Bastable zu erzählen begann.
    Während der folgenden drei Tage erzählte er mir seine Geschichte; in dieser Zeit verließen wir kaum das Zimmer und schliefen so gut wie gar nicht. Gelegentlich frischte Bastable sich mit Hilfe einiger Tabletten auf - er schwor mir, daß es sich nicht um Opium handelte -, doch ich benötigte kein anderes Stimulans als Bastables Geschichte selbst. Mit der Entfaltung der Erzählung wurde die Atmosphäre im Hotelzimmer immer unwirklicher. Anfänglich dachte ich den fantastischen Träumereien eines Irren zu lauschen und glaubte zum Schluß ohne den geringsten Zweifel, die Wahrheit gehört zu haben - oder zumindest eine Wahrheit. Es liegt bei Ihnen, ob Sie das Folgende für Fiktion oder Wirklichkeit halten. Ich kann lediglich versichern, daß Bastable sagte, es sei keine Fiktion, und daß ich zutiefst überzeugt bin, daß er recht hatte.
    Michael Moorcock
Three Chimneys Mitcham,
Surrey.
Oktober 1904
    2 Der Tempel in Teku Benga
    Ich weiß nicht, ob Sie jemals in Nordost-Indien waren (begann Bastable), aber wenn ja, wissen Sie, was ich meine, wenn ich sage, daß dort alte und unermeßlich traditionsreiche Welten aufeinandertreffen. Wo Indien, Nepal, Tibet und Bhutan zusammenstoßen, etwa 320 km nördlich von Darjeeling und 150 km westlich vom Mount Kinchunmaja, liegt Kumbalari: ein Staat, der sich rühmt, älter als die Zeit zu sein. Es handelt sich um eine, wie sie es nennen, »Theokratie« - eine umfassende Herrschaft von Priestern, voll finsteren Aberglaubens und noch finstereren Mythen und Legenden, wo alle Götter und Dämonen verehrt werden, um sicher zu gehen, daß man auf der richtigen Seite steht. Die Leute sind grausam, unwissend, gemein und stolz - sie blicken voller Hochmut auf alle anderen Rassen herab. Sie stören sich an der britischen Präsenz in der Nähe ihres Hoheitsgebiets, und im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte hatten wir ein paarmal Zusammenstöße mit ihnen, jedoch niemals etwas Ernstes. Glücklicherweise überschreiten sie niemals weit ihre eigenen Grenzen, ihre Bevölkerung wird dank ihrer eigenen barbarischen Praktiken niedrig gehalten. Bei solchen Gelegenheiten macht dann ein religiöser Führer von sich reden, der sie von der Notwendigkeit eines heiligen Krieges gegen die Briten oder die unter britischem Protektorat stehenden Völker überzeugt, ihnen weismacht, unsere Kugeln könnten ihnen nichts anhaben und so weiter, bis wir uns dann aufmachen müssen, um ihnen eine Lektion zu erteilen. Bei der Armee hält man sie nicht für eine ernste Gefahr, was zweifellos der Grund dafür war, daß man mich zum Leiter der Expedition ernannt hat, die 1902 in Richtung Himalaya und Kumbalari aufbrach.
    Es war das erstemal, daß ich so viele Männer zu befehligen hatte, und ich nahm meine Verantwortung sehr ernst. Ich hatte eine Schwadron von einhundertfünfzig indischen Kavalleristen der berühmten Punjabi-Ulanen und zweihundert stolze, treue Sepoys vom 9. Ghurka-Infanterieregiment. Ich war ausgesprochen stolz auf meine Armee und hatte das Gefühl, daß sie ganz Bengalen erobern könnte, falls dies notwendig wäre. Ich war natürlich der einzige weiße Offizier, doch ich gestand mir sehr bereitwillig ein, daß die einheimischen Offiziere Männer mit weit größerer Erfahrung waren als ich, und folgte, wann immer dies möglich war, ihrem Ratschlag.
    Mein Befehl lautete, Stärke zu demonstrieren und, wenn möglich, eine militärische Auseinandersetzung zu vermeiden. Wir wollten diesen Leuten nur zeigen, mit wem sie es zu tun bekämen, wenn wir anfingen, sie ernst zu nehmen. Ihr damaliger Führer - ein alter Fanatiker mit Namen Sharan Kang - war gleichermaßen König, Erzbischof und Oberbefehlshaber dieses Gesindels. Sharan Kang hatte bereits einen unserer Grenzposten niedergebrannt und zwei Sonderkommandos einheimischer Polizei massakriert. Rache interessierte uns nicht, doch wir wollten dafür
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