Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Lüfte

Der Herr der Lüfte

Titel: Der Herr der Lüfte
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
ständig alle mysteriösen Verhaltensweisen der Engländer in gute, schlichte, christliche Begriffe. »Dann ist er also ein Bettler? Sind Sie der Samariter?«
    »So selbstlos bin ich nicht«, erklärte ich ihm. »Würdest du für den Herrn einen meiner Anzüge heraussuchen, daß er ihn nach dem Bad anziehen kann?«
    Ram Dass nickte begeistert. »Und Hemd, Schlips, Socken, Schuhe - alles?«
    Ich mußte lächeln. »Sehr schön. Alles.«
    Mein Gast ließ sich lange Zeit für seine Waschungen, doch als er schließlich aus dem Bad trat, wirkte er viel adretter als vorher. Ram Dass hatte ihm meine Kleider angelegt, die ihm außergewöhnlich gut paßten, sie saßen nur ein wenig locker, denn ich war erheblich besser genährt als er. Ram Dass schwenkte hinter ihm ein Rasiermesser, das so hell blitzte wie sein breites Grinsen. »Ich habe den Gentleman auch rasiert, Sahib!«
    Der Mann vor mir war ein gut aussehender, junger Mann Ende zwanzig, obwohl etwas in seinen Zügen ihn gelegentlich viel älter wirken ließ. Er hatte goldblondes, gewelltes Haar, ein massiges Kinn und einen entschlossenen Mund. Er zeigte keines der üblichen Anzeichen von Schwäche, wie ich sie bei anderen seiner Art, die ich kennengelernt hatte, oft beobachten konnte. Etwas von dem Schmerz war aus seinen Augen gewichen, hatte jedoch einem noch entfernteren, fast träumerischen Ausdruck Platz gemacht. Ram Dass war es, der vielsagend schnüffelte und hinter dem Mann eine lange, geschnitzte Pfeife emporhob, der mir die Lösung lieferte.
    Das war es also! Mein Gast war Opiumraucher! Er war abhängig von einer Droge, welche einige den Fluch des Orients getauft hatten und die viel zu der bekannten, fatalistischen Haltung beitrug, die wir für den Osten als typisch erachten, eine Droge, die Menschen um ihren Willen zum Essen, zum Arbeiten, ihrer Neigung für alle gewöhnlichen Vergnügungen beraubt, mit welchen die anderen die Stunden zubringen - eine Droge, die sie letztlich das Leben kostet.
    Mit einiger Anstrengung gelang es mir, mein Entsetzen oder mein Mitleid nicht spüren zu lassen, statt dessen sagte ich:
    »Nun, alter Junge, was würden Sie zu einem späten Mittagessen sagen?«
    »Wenn Sie es wünschen«, antwortete er zurückhaltend.
    »Ich hätte gedacht, daß Sie Hunger haben.«
    »Hunger? Nein.«
    »Nun, jedenfalls werden wir etwas bringen lassen. Ram Dass? Könntest du etwas zu Essen besorgen? Vielleicht etwas Kaltes. Und sag Mnr. Olmeijer, daß ich einen Gast habe, der über Nacht bleiben wird. Man soll das zweite Bett beziehen und so fort.«
    Ram Dass ging, und mein Gast trat unaufgefordert zur Anrichte, um sich einen großen Whisky einzuschenken. Er zögerte einen Augenblick, ehe er etwas Soda dazugoß. Es war fast, als müßte er sich erinnern, wie man einen Drink mischt.
    »Wohin wollten Sie denn, als Sie als blinder Passagier an Bord gingen?« erkundigte ich mich. »Doch wohl kaum nach Rowe Island?«
    Er drehte sich um, nippte an seinem Glas und starrte durch das Fenster über den Hafen auf das Meer hinaus. »Das hier ist Rowe Island?«
    »Ja. Das Ende der Welt in vielerlei Hinsicht.«
    »Das was?« Er schaute mich mißtrauisch an, und ich sah in seinen Augen wieder eine Spur dieser Qualen.
    »Ich meinte das im übertragenen Sinne. Auf Rowe Island kann man nicht viel unternehmen. Von hier aus kommt man nirgendwo hin, außer dorthin, wo Sie herkamen. Woher kommen Sie übrigens?«
    Er machte eine vage Handbewegung. »Ich verstehe. Ja. Oh, vermutlich von Japan.«
    »Japan? Waren Sie dort vielleicht im auswärtigen Dienst?«
    Er sah mich so intensiv an, als vermutete er in meinen Worten einen Hintersinn. Dann sagte er: »Davor in Indien. Ja, davor in Indien. Ich war bei der Armee.«
    »Wie…?« Es war mir peinlich. »Wie kamen Sie denn an Bord der Maria Carlson - des Schiffes, das Sie hierhergebracht hat?«
    Er zuckte die Achseln. »Ich fürchte, ich weiß es nicht mehr. Seit ich fort bin… seit ich zurückgekehrt bin, ist alles wie ein Traum gewesen. Nur das verdammte Opium hilft mir zu vergessen. Diese Träume sind weniger furchterregend.«
    »Sie nehmen Opium?« Ich kam mir wie ein Scheinheiliger vor, als ich die Frage so formulierte.
    »Soviel, wie ich beschaffen kann.«
    »Sie haben wohl ein recht schreckliches Erlebnis hinter sich«, sagte ich und vergaß völlig meine guten Manieren.
    Darauf lachte er, mehr zum Spott seiner selbst als auf meine Frage. »Ja, ja. Es hat mich um den Verstand gebracht. Das glauben Sie ja ohnehin. Welches
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher