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Der Herr der Falken - Schlucht

Der Herr der Falken - Schlucht

Titel: Der Herr der Falken - Schlucht
Autoren: Catherine Coulter
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Söhnen überlegen. Doch du bist bedeutungslos. Nur die Söhne deines Vaters sind wichtig, nicht du. Und ich bin wichtiger als ihr alle miteinander. Es wird dir noch leid tun.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte durch einen schmalen Einlaß in der Mauer aus dem Garten.
    »Hast du dir wehgetan?«
    Das Mädchen schnellte beim Klang der fremden Stimme herum.
    »Wer bist du?«
    Ihre wogenden Brüste zeichneten sich gegen das feine Leinen ihres Gewandes ab. Als sie die ältere Frau ohne einen Funken Angst ansprang, war sie ihm größer erschienen. Ihre Augen waren grün wie das feuchte Moos am Flußufer des Liffey. Sie sah aus, als wolle sie auch ihn im nächsten Moment anspringen. Mit sanfter Stimme stellte er sich vor: »Ich bin Cleve von Malverne und komme als Bote von Herzog Rollo aus der Normandie.«
    Voll Verachtung und unverhohlener Abneigung musterte sie ihn von oben bis unten. Statt der erwarteten beleidigenden Bemerkung über sein Aussehen entgegnete sie mit leichtem Sarkasmus: »Wie ich höre, kommst du nicht nur als Bote. Du bist der Repräsentant des Herzogs, sein Gesandter. Und du bist gekommen, um mit dem König einen Vertrag auszuhandeln.«
    »So könnte man es nennen.«
    Ihr Sarkasmus verstärkte sich. »Die Rede von Gesandten ist glatt und schleimig wie die Spur einer Schnecke. Ihr kommt von euren Fierzögen oder Fürsten und wollt euch irgendwelche Vorteile verschaffen. Erst vor einem Monat war ein fetter Gesandter von König Karl aus Paris hier. Ein schmieriger Kerl, der mich mit seinen Blicken auszog. Nach der Begegnung mit ihm hatte ich das Bedürfnis zu baden. Keiner von euch macht eine klare Aussage, ihr schwätzt in gefälligen Worten und haltet euer Gegenüber für dumm. Ich bin nicht dumm. Wenigstens bist du nicht schmierig und gibst mir nicht das Gefühl, nackt zu sein. Warum hast du uns heimlich belauscht? Was willst du?«
    »Das waren viele Worte, die du da gesprochen hast«, lächelte er und wartete immer noch darauf, daß sie voll Abscheu vor ihm zurückwich. Erstaunt über die ausbleibende Schreckreaktion fuhr er fort: »Ich habe mich ein wenig umgesehen, hörte Stimmen und betrat diesen Garten. Ich bin froh, daß es dir nicht gelungen ist, der Frau das schöne Haar auszureißen.«
    »Ihr Haar ist ihr ganzer Stolz«, seufzte sie. »Ich hätte es ihr zu gern ausgerissen. Ich habe so fest daran gezogen, wie ich nur konnte. Das war das erste Mal, daß ich sie tätlich angegriffen habe. Die Götter wissen, wie sie sich rächen wird. Sie schafft es jedes Mal, mir etwas anzutun.«
    Er trat einen Schritt näher und sah den roten Abdruck der Hand an ihrer linken Wange. »Bist du in Ordnung?«
    »Das Luder hat mich so oft geschlagen, daß ich es kaum noch spüre. Wir geraten in Streit, sobald wir uns in einem Raum aufhalten. Doch diesmal war es anders.«
    »Was war anders?«
    Sie dachte lange nach. Schließlich entgegnete sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Diesmal war tiefer Haß im Spiel, nicht nur Abneigung und Groll. Ich bin jetzt erwachsen, und das kann sie nicht ertragen, obwohl ich den Grund nicht kenne.«
    »Wer ist sie?«
    »Die zweite Frau meines Vaters.«
    »Aha. Die böse Stiefmutter. Es ranken sich viele Geschichten um böse und eitle Stiefmütter. Ein Skalde erzählte mir einst die Geschichte einer Frau, die ihre Stieftochter in einen Kürbis verwandelte, den sie dann auf dem Feld verfaulen ließ. Ein Kind kam des Wegs, gab dem Kürbis einen Tritt, und als der Kürbis vor Schmerz aufstöhnte, umarmte das Kind ihn zärtlich. Dadurch konnte er sich wieder in die Tochter zurückverwandeln. Das Kind lief erschreckt davon.«
    »Die Geschichte klingt nicht nach einem Höfling. Solltest du etwa menschliche Züge haben?«
    »Eines Tages erzähle ich dir vielleicht die ganze Geschichte. Berichte mir mehr von deiner Stiefmutter.«
    »Mein Vater liebt sie trotz ihrer Eitelkeit, ihrer Launen und ihrer Gemeinheiten. Sie hat ihm vier Söhne geboren.«
    »Ich verstehe.«
    »Ich rate dir, über den Vorfall Schweigen zu bewahren«, warnte sie den Fremden mit zusammengekniffenen Augen.
    »Wer sollte sich denn dafür interessieren, daß du deine Stiefmutter an den Haaren gezogen hast?«
    Sie hob eigensinnig das Kinn und schnaubte verächtlich. »Nun gut. Du findest es ohnehin heraus, so wie du durch die Gegend schleichst. Sie ist Königin Sira, die Gemahlin des Königs. Früher nannte er sie Naphta nach meiner Mutter, doch ihr gefiel der Name nicht, und er nannte sie wieder bei
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