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Der Herr Der Drachen: Roman

Titel: Der Herr Der Drachen: Roman
Autoren: Lara Morgan
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die eng über einer uralten Seele lag. An diesem Ort war er verraten worden, man hatte sich gegen ihn gewendet und ihn zerstört. Voller Bitterkeit hoffte Shaan, dass ihn dieser Anblick zutiefst schmerzte und Verzweiflung sich seiner bemächtigte.
    Aber er stand nur da. Schweigend betrachtete er die Stadt. Ohne sich umzudrehen, sagte er barsch: »Komm.« Dann ging er flussabwärts zu einer schmalen, alten Steinbrücke, die sich in einem hohen Bogen über das Wasser wölbte.
    Erfüllt von einer drückenden Schwere folgte sie ihm, und alle Hoffnung fiel von ihr ab. Teile der Brücke waren eingestürzt, und sie war von einer Schicht eingewachsenen Schimmels überzogen, doch sie trug sie beide. Vorsichtig überquerten sie die Konstruktion. Währenddessen verdunkelte sich über ihnen der Himmel. Wolken begannen aufzuziehen. Als sie das gegenüberliegende Ufer erreichten, begannen die ersten Tropfen schwer und nass auf ihre Schultern zu prasseln.
    Azoth schien den Regen nicht zu bemerken. Er schritt zu dem
zerfallenen Tor und durchquerte es. Mit unsicheren Schritten folgte sie ihm. Rechts von ihr, gerade außerhalb des Tores, befand sich der Ort, an dem sie gekauert hatte, als Petar starb. Sie ging vorbei und verdrängte die Bilder, die in ihr Bewusstsein strömten.
    Ein Feuer hatte tiefe Risse in den massigen, zerfallenden Steinsäulen und im Inneren der Mauern zurückgelassen. Einst breite Prachtstraßen waren nun mit Schlingpflanzen und Steinhaufen verstopft. Die Zeichen der Zerstörung und des Alters umgaben sie von allen Seiten. Große Schutthaufen markierten die Orte, an denen früher Gebäude gestanden hatten, deren Steinblöcke nun über und über mit dicht durcheinander wuchernden Pflanzen bedeckt waren. An einer Stelle waren Bäume durch die Ecken von Mauern emporgewachsen und hatten das steinerne Pflaster aufgebrochen. Ihre Zweige hingen voller knolliger, orangefarbener Kirschen, und der Boden unter ihnen war mit herabgefallenen Früchten bedeckt. Der süßliche Geruch von Gärung lag in der Luft.
    Die ehemalige Hauptstraße entlang hielt sich Azoth weiter in Richtung des Stadtinneren. Als sie die Außenbezirke hinter sich gelassen hatten, passierten sie Bereiche, die besser erhalten waren. Während die Straße eine sanft geschwungene Kurve machte, begannen Gebäude aufzutauchen, deren Mauern noch immer standen. Die Straßen waren hier kaum von Schlingpflanzen berührt. Sie überquerten einen Platz, in dessen Mitte sich ein Brunnen befand. Von allen Seiten sahen zwei- und dreigeschossige Häuser mit klaffenden, dunklen Fenstern auf sie herab, die im nebligen Vorhang aus Regen wie Augen wirkten. Ihre Dächer fehlten, aber jedes Gebäude besaß eine breite, steinerne Plattform, die sich vorn in Höhe des zweiten Stockwerks erstreckte und von Säulen gehalten wurde, die von dichten Verzierungen bedeckt waren. So nahe standen sie beisammen, dass man von einer Plattform auf die andere hätte springen können. Sie waren sogar groß genug, dass ein Drache auf ihnen hätte landen können. Während Shaan sie betrachtete, fragte sie sich, wer oder was in diesen Häusern gelebt haben mochte.

    Je tiefer sie in die Stadt eindrangen, desto weniger Schäden waren zu erkennen. Gleichzeitig lastete die bedrückende Atmosphäre immer schwerer auf ihr. Kein Laut drang von jenseits der Stadtmauern herein, und die Luft war heiß und stickig. Erinnerungen erfüllten die Löcher und Risse des Steins; fast greifbar umgaben sie Shaan in einer Mischung aus Zerstörung und Hoffnungslosigkeit. Ihre Kehle schnürte sich zu, als sie ein leises Flüstern bemerkte. Es kam von weit her, flüchtig nur, aber es war da, summte in den leeren Straßen umher, suchend, tastend.
    Sie hielt an, und Panik schlug über ihr zusammen. Der Schöpferstein suchte nach ihr. Sie fühlte es! Einen Augenblick lang konnte sie sich nicht mehr bewegen. Erstarrt blickte sie nach vorn. Er musste direkt vor ihr sein: Hinter der nächsten Ecke, dort wo eine kleinere Straße zwischen zwei von Säulen gesäumten Gebäuden in der Dunkelheit verschwand, und Azoth bewegte sich direkt auf ihn zu.
    Nein! Nein, sie konnte es nicht tun. Sie würde es nicht tun. Wie ein Mantel fiel die Lethargie von ihr ab. Sie fuhr herum und rannte. Eilig trugen ihre Füße sie zurück zu dem Platz, fort, nur fort von dem Flüstern. Aber Azoth hatte ihre Flucht längst bemerkt. Schneller, als sie es für möglich gehalten hätte, bewegte er sich: Ein Schritt, ein Sprung, dann schlug seine Hand
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