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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris
Autoren: Claude Cueni
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Maschine«, entgegnete Henri-Clément wie aus der Pistole geschossen.
    Sie reagierte nicht, sie fixierte den Altar.
    »Nun gut, Madame«, lenkte er ein, »sechzehntausend, und die verfluchte Maschine gehört Ihnen.«
    »Sie wären auch mit der Hälfte zufrieden«, murmelte sie.
    Er musterte sie voller Verachtung. Diese Alte war es gewohnt, Geschäfte zu machen, gute Geschäfte, und einem wie ihm sah man gleich an, dass er Geld brauchte. Sie konnte ihn demütigen und den Preis drücken. Er hatte dem nichts entgegenzusetzen. Er wusste, wie man Köpfe sauber vom Rumpf trennte, aber vom Geschäft verstand er nichts. »Also einverstanden«, entgegnete er trotzig, »aber dafür kriegen Sie nur die Maschine. Keine Tagebücher.«
    »Erzählen Sie mir zuerst die Geschichte der Sansons, dann werde ich entscheiden, ob ich die Tagebücher kaufe. Ich bezahle keinen Sou für dummes Geschwätz.«
    »Mit mir, dem letzten Sanson, endet die Dynastie. Ich bin der Letzte, der Ihnen die Geschichte erzählen kann. Aber ich brauche Geld. Ich habe eine Menge Schulden. Und zudem hat mich meine Frau heute verlassen. Das wäre keinem Sanson passiert. Ich bin kein richtiger Sanson. Ich binein Versager. Die Sansons waren stark, von grossem Wuchs, charismatische Erscheinungen, imposant und würdevoll, souverän. Sie waren allein gegen den Rest der Welt, und kein Sturm zwang sie in die Knie, nichts konnte sie erschüttern, doch ich bin schwach, ich bin feige, ich habe keinerlei Ambitionen, ich saufe wie ein Bürstenbinder und besuche die verruchtesten Etablissements von Paris. Ich küsse alles, was einen Rock trägt. Und … nicht nur, was einen Rock trägt. Nein, Madame, ich habe nichts von dem, was die Sansons hatten, was einen Sanson zu einem Sanson machte. Ich bin lediglich der Letzte seiner Art, die Schande der Dynastie. Ich verdarb im Schatten der Guillotine, während mein Grossvater, der grosse Sanson, in die Geschichtsbücher eingegangen ist.«
    »Lassen Sie uns gehen, Monsieur«, sagte Madame Tussaud kühl, »ich bin nicht hier, um Ihnen Trost zu spenden.«
    »Haben Sie denn kein Mitgefühl, Madame?«
    »Mitgefühl? Wenn Sie Mitgefühl suchen, nehmen Sie sich einen Hund. Paris ist voll von streunenden Hunden. Wo ist Ihre Maschine?«
    »Es ist nicht meine Maschine«, wehrte er ab, »es war nie die Maschine der Sansons. Wir waren nur die Vollstrecker der Urteile. Wir haben diese gottverdammte Guillotine weder erfunden noch gebaut. Es waren die Ärzte Louis und Guillotin. Es ist sozusagen ein ärztliches Instrument. Aber was zum Teufel wollen Sie mit ihr?« Er sprang auf.
    »Ich werde sie nach London bringen«, sagte sie ruhig und erhob sich ebenfalls. Behutsam. Man hörte das Knacken ihrer Gelenke.
    »Soll ich Ihnen helfen?«, fragte Henri-Clément besorgt.
    »Fassen Sie mich nicht an, ich will nur Ihre Maschine.«
    »Und was werden Sie mit ihr in London tun?«
    »Ich werde sie ausstellen inmitten der Robespierres, Dantons, Marats und wie sie alle heissen, denn ich habe sie alle an den Haaren aus den bluttriefenden Weidenkörben Ihres Grossvaters gefischt und in Wachs modelliert.« Sie setzte sich auf die Gebetsbank. »So wie ihr, die Sansons, das Schwert des Henkers von Generation zu Generation weitergegeben habt, will auch ich mein Werk vollenden und es an meine beiden Söhne übergeben. Aber zuerst will ich die Maschine. Es ist das Einzige, was mir noch fehlt. Und die Geschichte dazu. Ihr Grossvater ist längst tot, Monsieur, aber meine Wachsfiguren werden noch in hundert Jahren die einzige lebendige Erinnerung der Menschen an die Französische Revolution sein. Ich allein modelliere diese Erinnerung, und ich allein werde bestimmen, was man über ihre Schöpferin, Madame Tussaud, erzählen wird. Deshalb will ich die Geschichte hören und gegebenenfalls die Tagebücher erwerben. Madame Tussaud ist ein Unternehmen geworden. Ich werde nicht dulden, dass mein Lebenswerk zerstört wird. Sie werden erzählen, Monsieur, und Sie werden mir jede Frage beantworten, und ich schwöre Ihnen, junger Mann, wenn Sie es wagen, mich auch nur ein einziges Mal anzulügen, werde ich in Ihrem Schuppen die Feuerzange finden und Ihre Schulter brandmarken. Und ich werde Ihnen kein Schweineschmalz einreiben.«
    »Schon gut, schon gut«, erwiderte Henri-Clément, der sich neben sie gesetzt hatte. »Ich werde Ihnen von diesem Fluch erzählen, von diesen schicksalhaften Ereignissen.«
    »Hören Sie auf damit, ich sagte doch schon, es gab nie einen Fluch, es gab nie
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