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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd
Autoren: Emile Zola
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schrecklich.
    Wollt ihr wohl gehen! … Hört ihr mich klagen? … Paßt
es mir, zu solcher Stunde und bei solchem Wetter in den Straßen
umherzupatschen? … Ja, wenn ihr einen Vater hättet wie andere
Väter! Aber nein, der Herr bleibt zu Hause, um der Ruhe zu pflegen.
Immer habe ich das Vergnügen, euch in Gesellschaft zu führen; er
will nichts davon wissen. Ich erkläre euch, daß ich es satt habe
bis an den Hals. Euer Vater soll mit euch gehen, wenn er will. Ich
habe keine Lust, Häuser zu besuchen, wo ich nur Gift und Galle
bekomme! … Soll ich auch das nicht von diesem Manne haben
können, der mich über seine Fähigkeiten getäuscht hat? … Nein,
den würde ich auch nicht wieder zum Manne nehmen, wenn ich von
vorne anfangen sollte.
    Die jungen Mädchen widersprachen nicht mehr. Sie kannten zur
Genüge dieses unversiegbare Kapitel über die zerstörten Hoffnungen
ihrer Mutter. Die Spitzenschleier klebten durchnäßt an ihren
Gesichtern, die Schuhe waren voll Wasser – so gingen sie schweigend
die Annenstraße entlang. In der Choiseul-Straße sollte vor ihrem
Hause Frau Josserand eine letzte Demütigung erfahren: da ward sie
von dem Wagen der Familie Duverdy bespritzt, die eben von einer
Abendgesellschaft heimkehrte.
    Obgleich kreuzlahm und wütend, fanden die Damen Josserand,
Mutter und Töchter, ihre Anmut wieder, als sie auf der Treppe
Octave begegneten. Als aber einmal die Türe hinter ihnen
geschlossen war, drängten sie sich in aller
Hast, überall an die Möbel stoßend, durch die dunklen Zimmer und
eilten in den Speisesaal, wo Herr Josserand bei dem matten Lichte
einer kleinen Lampe schrieb.
    Verfehlt! schrie Frau Josserand, auf einen Stuhl sinkend.
    Mit einer hastigen Bewegung riß sie sich den Schleier vom Kopfe,
warf den Pelz auf eine Stuhllehne hin und erschien nun in einem
feuerroten, mit schwarzem Samt besetzten Kleide, sehr dick, sehr
tief ausgeschnitten, mit Schultern, die noch immer schön waren und
den glänzenden Schenkeln eines Reitpferdes glichen. Ihr viereckiges
Gesicht mit den hängenden Wangen und der dicken Nase drückte die
tragische Wut einer Königin aus, die sich Zwang auferlegt, um nicht
in die Sprache eines Fischweibes zu verfallen.
    Ah! sagte einfach Herr Josserand, verblüfft durch diesen
stürmischen Eintritt.
    Er zuckte unruhig mit den Wimpern. Er fühlte sich vernichtet
beim Anblicke seiner Frau, deren ungeheurer Busen ihn
plattzudrücken drohte. In einem alten abgeschossenen Überrock, den
er zu Hause trug, das Gesicht fast völlig verwischt durch
fünfunddreißig Jahre Bürodienst, – so saß er da und betrachtete sie
einen Augenblick mit seinen großen, blauen, glanzlosen Augen. Dann
strich er seine ergrauenden Haarlocken hinter die Ohren zurück, und
da er in seiner argen Verlegenheit kein Wort zu sägen wußte, suchte
er seine Arbeit wieder aufzunehmen.
    Verstehst du denn nicht? fuhr Frau Josserand in herbem Tone
fort; ich sage, daß wir wieder eine Partie verfehlt haben, – und
das ist die vierte!
    Ja, ich weiß, die vierte! murmelte er; es ist verdrießlich, sehr
verdrießlich! …
    Um der vernichtenden Nacktheit seiner Frau zu entgehen, wandte
er sich mit einem freundlichen Lächeln zu seinenTöchtern. Sie hatten inzwischen gleichfalls ihre
Spitzenschleier und Mäntel abgelegt; die ältere war in blauer, die
jüngere in rosa Toilette; diese Toiletten von allzu freiem Schnitt
und überladener Ausstattung waren an sich eine Herausforderung.
Hortense hatte eine gelbe Gesichtsfarbe; das Gesicht war
verunstaltet durch die dicke Nase, die sie von der Mutter geerbt
und die ihr den Ausdruck geringschätzigen Eigensinns verlieh. Sie
war kaum dreiundzwanzig Jahre alt, schien aber achtundzwanzig alt
zu sein. Berta hingegen, die um zwei Jahre jünger war, bewahrte
ihre kindliche Anmut; sie hatte wohl die nämlichen Züge, aber viel
feiner und war glänzend weiß; die grobe Maske der Familie dürfte
bei ihr erst viel später zum Vorschein kommen.
    Wann wirst du uns endlich eines Blickes würdigen? schrie Frau
Josserand ihrem Gatten zu. Um des Himmels willen, laß die
Schreiberei, die mich schon nervös macht.
    Aber, meine Liebe, sagte er sanft, ich mache Adreßschleifen.
    Ach, ja! Adreßschleifen zu drei Franken das Tausend! …
Willst du vielleicht mit diesen drei Franken deine Töchter unter
die Haube bringen?
    Der von der Lampe schwach beleuchtete Tisch war in der Tat
bedeckt mit bedruckten Adreßschleifen von grauem Papier, auf die
Herr Josserand die Namen
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