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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950
Autoren: Hans H. Wiese
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Spuren der Mahlzeiten der vergangenen
    Tage zu erkennen. Und jeder wird heutzutage sehen, dass das Grau der
    Damenbluse früher einmal ein Weiss war. Andere besitzen ebensoviel
    Kritik wie wir, und wir können ihnen schwerlich einen Vorwurf daraus
    machen. Wohl ist nicht jedermann Psychologe und kann aus der Art,
    wie Sie Ihre Krawatte binden, Ihre geheimsten Neigungen herauslesen,
    aber jedermann wird streng über offene Manschettenknöpfe urteilen,
    über einen mehr als einen Tag alten Bart, über Strümpfe in
    Ziehharmonikaform und Haarfrisuren, die man »Nach der Schlacht«
    nennen könnte, oder über Damenstrümpfe, deren Naht a n eine
    Wendeltreppe erinnert. Diese Nachlässigkeiten werden den Kampf
    enthüllen, den wir frühmorgens mit unserem Stundenplan kämpften.
    Sie können auch darauf hinweisen, dass unser Wecker uns nicht
    weckte, dass wir ihn überhören wollten, oder dass eheliche Stürme
    über uns hinweggebraust sind. Wollen wir es vermeiden, solche
    vertrauliche Einzelheiten andern mitzuteilen! Es gibt keine guten Sitten
    und keine Höflichkeit ohne Diskretion. Die Anderen dürfen nichts
    wissen. Geben wir ihrem Scharfblick doch keine Gelegenheit, sich an
    uns, und noch dazu zu unserem Nachteil, zu üben!
    DIE PASSENDE GARDEROBE.
    Aber Ordnung und Sauberkeit genügen nicht, um uns den Ruf
    »elegant« zu sein einzubringen. Wenn wir unauffällig sein wollen,
    muss unsere Kleidung der jeweiligen Situation angepasst sein. Wenn
    wir nicht gerade von dem elegantesten Modesalon der Stadt als
    wandelnde Reklame finanziert werden, brauchen wir nicht für jede
    Stunde des Tages eine andere Kleidung zu wählen. Selbst reiche
    Nichtstuer haben heute andere Zerstreuungen gefunden. Die Zeit, die
    wir durchlebten, hat mit ihren Einschränkungen die
    Garderobevorschriften gelockert. Aber ebenso, wie es lächerlich wäre,
    in Friedenszeiten in Luftschutzkellern zu leben, so wäre es verkehrt,
    nicht an die Gepflogenheiten normaler Zeiten wieder anzuknüpfen.
    Ihre Garderobe hat vielleicht noch nicht ihren Vorkriegsglanz
    erreicht, aber vermutlich verfügen Sie doch wieder über genügend
    Anzüge und Kleider, um sich nicht gerade unangenehm von Ihrer
    Umgebung zu unterscheiden. Während des Krieges war es erlaubt, in
    jeder Aufmachung zu einer Einladung zu erscheinen. Gott sei Dank
    besteht heute kein Grund mehr dafür, so etwas zu dulden. Es ist ver^-
    ständlich, dass sich ein Mann im Sportkostüm bei einer
    Abendgesellschaft deplaciert fühlt, besonders wenn seine Gastgeber
    auf Etikette halten. Wenn er versucht, seine Kleidung mit
    Bequemlichkeit zu entschuldigen, wird er seine Situation nur noch
    verschlimmern. Man sollte die Teestunde nicht mit der
    Gymnastikstunde verwechseln. Solch ein Benehmen ist nicht nur
    unhöflich, es beweist das Fehlen des Sinnes für Nuancen; und der Sinn
    für Nuancen ist eines der wichtigsten Dinge im Leben.
    Eine Uebertreibung der Etikette ist jedoch beinahe ebenso schlimm
    wie ihr Gegenteil. Gastgeber, die ihre Gäste baten, im Strassenkostüm
    zu erscheinen, um sie in Frack und Abendkleid zu empfangen,
    erweisen ihren Gästen damit keine Ehrung. Echte Eleganz ist
    unauffällig, besonders die der Gastgeber muss es sein. Es ist taktlos,
    sich nicht der Garderobe der Gäste anzupassen. Ein Missgriff dieser
    Art ist unverzeihlich und wenn sie den Mut dazu haben, sollten sich
    die Gastgeber in einem solchen Falle zurückziehen, um die
    notwendige Wandlung zu vollziehen. Die Höflichkeit erfordert es,
    dass das Kleid der Gastgeberin besonders bescheiden ist. Sie darf nicht
    den Anschein der Konkurrenz mit den geladenen Damen erwecken.
    SCHÖNHEITSPFLEGE IN DER ÖFFENTLICHKEIT.
    Das Bestreben, gepflegt zu erscheinen, soll auch nicht zur Manie
    werden. Es ist unerzogen, sein Aeusseres in der Oeffentlichkeit in
    Ordnung zu bringen. Ein Mann, der in Gegenwart anderer seinen
    Kamm aus der Tasche zieht, um sich zu kämmen, nachdem er den Hut
    abnahm, besitzt keine guten Manieren. Er sollte auch nicht mit den
    Händen über sein Haar streichen. Es ist weniger schlimm, dass sein
    Haar nicht ganz in Ordnung ist, als dass er vor andern unmanierlich
    und kleinlich erscheint.
    Eine Dame darf nicht vor andern zu Puder, Schminke und
    Lippenstift greifen. Diese persönlichen »Toiletten-Geheimnisse« sollten
    nicht enthüllt werden. Fürsten haben sich um die Gunst gestritten, dem
    Sonnenkönig beim Zubettgehen sein Nachthemd zu reichen. Unsere
    Zeit ist zwar demokratischer geworden, aber eine
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