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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950
Autoren: Hans H. Wiese
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wird uns bitten, den letzten
    Satz zu wiederholen, da er ihn nicht gut verstanden habe, oder er wird
    auf unsere unverständliche Frage mit einem ausweichenden Lächeln
    antworten. Er wird sich möglichst schnell verabschieden oder unseren
    weiteren Aeusserungen keine grosse Aufmerksamkeit mehr schenken,
    auch wenn sie wichtig sind. Die Unterhaltung mit uns ist ihm zu
    schwierig geworden.
    Man braucht nicht einer Schauspielerfamilie anzugehören, um
    deutlich auszusprechen. Wenn Sie ein musikalisches Ohr haben,
    genügt es, dass Sie die Schauspieler auf der Bühne oder den Sprecher
    am Mikrophon nachahmen, wenn Sie sicher sind, dass deren
    Aussprache beispielhaft ist. Wählen Sie aber nicht gerade als Vorbild
    den Ansager, der in den Dialektsendungen für seine gute
    »einheimische« Aussprache berühmt ist. Wenn Ihnen eine klare
    Aussprache schwer fällt, werden ein paar Stunden der Uebung die
    Fehler verbessern. Gelingt Ihnen dies nicht, so rührt es von Ihren
    Hemmungen her und Ihr Fall würde einen Psychiater interessieren.
    Auch dann ist nicht jede Hoffnung umsonst. Sie behaupten, imstande
    zu sein, Sie von Ihrem Minderwertigkeitskomplex zu befreien, der die
    Ursache Ihrer stotternden, zögernden oder unklaren Aussprache ist. Sie
    müssen alles versuchen, um Ihren Mitmenschen die Qual zu ersparen,
    Ihnen zuzuhören, wenn Sie ebenso schlecht sprechen, wie die Aerzte
    ihre Rezepte schreiben.
    DIE SPRACHE.
    Ein gute Aussprache bleibt ohne Wirkung — obwohl akustisch
    besser verständlich — wenn wir nicht die Sprache sprechen, in der
    Goethe schrieb, sondern ein volkstümliches Platt reden, das wir mit ein
    paar hochdeutschen Redensarten und einigen den Berlinern und
    Wienern entlehnten Wendungen ausschmücken. Wir glauben ein
    Originalwerk geschaffen zu haben, während unsere Sprache — wenn
    eine solche Mischung diese edle Bezeichnung überhaupt verdient —
    eher dem amerikanischen Slang ähnlich wird: sie erhält immer neue
    Schlagworte, und selbst Eingeweihte sind nicht immer sicher, sie zu
    verstehen. Trotzdem gibt es Menschen, die jene armen Sterblichen
    mitleidsvoll betrachten, die sich nur mit grossen Schwierigkeiten in
    diesem abwechslungsreichen Platt zurechtfinden. Und natürlich
    bereichern sie ihren Wortschatz durch einige Fremdworte, die sie ganz
    auf ihre persönliche Art aussprechen. Aber sie stehen auf dem
    Standpunkt, dass der Gesprächspartner sich nur ein wenig Mühe
    geben soll, denn er hat ja das Glück, ihnen zuhören zu dürfen. Wem es
    gelingt, einer solchen Unterhaltung zu folgen, für den wird der
    schwierigste Kriminalfall künftig nur ein Kinderspiel sein.
    Wollen wir diese sprachlichen Dummheiten vermeiden. Statt zu
    bluffen — was vermutlich der tiefere Sinn dieser Kapriolen ist —
    wirken sie nur ermüdend. Ein reines Platt ist verzeihlich, wenn der
    Sprecher kein Hochdeutsch kann. Man sollte aber niemals dem Dialekt
    den Vorzug geben. Wir dürfen nicht aus Trägheit oder Snobismus auf
    eine Ausdrucksform verzichten, die geistig schaffenden Menschen
    unentbehrlich ist, ebenso wie der Gebrauch von Fremdworten
    vermieden werden sollte, wenn ein entsprechender Ausdruck in der
    eigenen Sprache vorhanden ist. Wenn es trotzdem notwendig
    erscheint, ein Fremdwort zu Hilfe zu nehmen, soll man es so
    aussprechen, wie es im eigenen Land üblich ist — selbst wenn diese
    Aussprache ihrem Ursprünge nach nicht ganz richtig sein sollte. Es ist
    eine Höflichkeitspflicht, ein Fremdwort sogleich zu übersetzen oder zu
    umschreiben, wenn man in einer Unterhaltung sieht, dass jemand es
    nicht gut begriffen hat. Unsere Sprache soll dem Milieu entsprechen, in
    dem wir uns bewegen. Es wäre taktlos, in jeden Satz ein oder zwei
    schwierige oder zu anspruchsvolle Wörter einzuflechten, die unsere
    Zuhörer nicht verstehen. Unsere Sprache soll kein Rätsel sein, sie soll
    klar und jedem verständlich sein. Gerade in der Einfachheit zeigt sich
    der Meister.
    DIE WAHL DER WORTE.
    In dem entzückenden und geistreichen Schauspiel »Pygmalion«, das
    Bernard Shaw der Sprachforschung zu Ehren schrieb, wettet ein
    Philologie-Professor, dass es ihm bestimmt gelingen würde, eine kleine
    Blumenverkäuferin aus dem schäbigsten Elendsviertel Londons,
    die mit zwanzig Jahren das erste Bad in ihrem Leben nimmt, als ein
    Mädchen der besten Gesellschaft auszugeben. Und wirklich, dieser
    bewundernswerte Praktiker der Sprache, der nur flüchtig zu hören
    braucht, wie jemand zum Beispiel einen Wagen bestellt, um
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