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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950
Autoren: Hans H. Wiese
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zu sagen,
    in welchem Teil Englands der Betreffende aufwuchs, lehrt seine
    Schülerin eine Aussprache, die der Königin von England würdig wäre.
    Man bereitet für die begabte Schülerin, gleichsam als Probe, einen
    ersten, nicht offiziellen Besuch in der Gesellschaft vor, um
    festzustellen, ob die Wandlung vollendet ist. Und es kommt zu einer
    peinlichen Szene: die frühere Blumenverkäuferin mit der tadellosen
    Aussprache kann nur die simplen Worte wiederholen, die sie ihr
    ganzes Leben in ihrem Elendsviertel gehört hat. Der Professor sieht ein,
    dass erst die Hälfte seiner Arbeit getan ist. Sein Versuchsobjekt kann
    perfekt aussprechen, aber es kann nicht sprechen.
    Diese Szene, die die ganze Welt belustigte, hat nicht Schule gemacht.
    Wenn der Dialekt auch verschwindet, so unterliegen viele der
    Versuchung, Jargonausdrücke zu übernehmen. Sie sind vermutlich der
    Meinung, dass die Unterhaltung dadurch ein moderneres und
    malerischeres Gepräge erhält. Einige wenige moderne Schlagworte
    werden zur Erläuterung der verschiedensten Vorgänge oder Begriffe
    von Menschen angewandt, deren Wortschatz nicht grösser ist als der
    eines Kindes — aber es sind leider nicht mehr die gleichen Worte!
    UNACHTSAMKEIT DER GRAMMATIK UND DER SATZLEHRE
    GEGENÜBER.
    Grammatik und Satzlehre sind zwei achtunggebietende Damen, die
    wir respektieren müssen. Sie haben übrigens einen viel heiteren und
    einfacheren Charakter als dies meist böswillig behauptet wird. Es ist
    jedoch ebenso leicht, sich von den Fehlern in der Grammatik und der
    Satzlehre zu befreien, wie von einer schlechten Aussprache. Genau so,
    wie es keine Anstrengung kostet »ja« anstatt »jo« zu sagen, verursacht
    eine richtige Sprache keine Uebermüdung. Warum wollen wir das Ohr
    unserer Mitmenschen beleidigen, indem wir die einfachsten und
    grundlegendsten Regeln unserer Grammatik vergewaltigen? Es gibt
    heute bereits viele Menschen, die ein sauberes; Deutsch gleichsam als
    eine tote Sprache empfinden.
    Wir müssen um Entschuldigung bitten, wenn wir unsere Leser auf
    Fehler aufmerksam machen, die ihnen vielleicht unwahrscheinlich
    vorkommen. Sie werden vermutlich nichts dabei lernen, aber sie
    müssen achtgeben, dass sie diese sprachlichen Nachlässigkeiten nicht
    wiederholen.
    Hüten Sie sich vor Ausdrücken, die in bestimmten Gegenden
    gebräuchlich geworden sind:
    Ich hole das Buch aus meinem Zimmer (ich gehe also irgendwohin);
    aber ich nehme mir noch ein Stück Kuchen (ich sitze irgendwo und
    greife zu);
    Ich habe meine Schwester am Bahnhof abgeholt, aber ich habe an
    Gewicht abgenommen.
    komm bei mich — oder: komm bei uns — anstatt: Komm zu mir,
    komm zu uns;
    Die Frau, die wo ich kenne — anstatt: die Frau, die ich kenne.
    Es gibt Fehler, die durch den Einfluss einer Sprache aus dem
    Nachbarland entstanden, wie zum Beispiel:
    Der Butter — statt: die Butter; Ich habe kalt — statt des sprachlich
    richtigen: »mir ist kalt«.
    Häufig wird der Dativ mit dem Akkusativ verwechselt, z. B.:
    Ich habe dir gesehen — es kommt mich komisch vor,
    statt: Ich habe dich gesehen — es kommt mir komisch vor;
    Bei Bildung des Komperativs (Steigerung) wollen wir nicht vergessen,
    dass es heisst: Grösser a I s (und nicht: grösser wie) — wohl aber:
    ebenso gross wie jener Baum.
    Die Mehrzahlbildung von Fremdworten bereitet zuweilen auch
    Schwierigkeiten; man spricht richtig von: Themen und Risiken, Daten
    und Atlanten — man hängt also nicht einfach ein s an: z. B.: Datums,
    Risikos usw.
    Der Unterschied zwischen »anscheinend« und »scheinbar« liegt
    darin, dass scheinbar: »sich stellen als ob«, (nur einen scheinbaren
    Vorgang) aussagt, indes anscheinend: eine berechtigte Vermutung
    ausdrückt, z. B.: Er ist scheinbar krank (er stellt sich nur so, als sei er
    krank); er ist anscheinend krank (er ist vermutlich krank).
    Auch die so harmlosen Wörtchen »her« und »hin« — »herein« und
    »hinein« haben ihre Klippen: her — wird gebraucht, um die Richtung
    anzugeben, von w o jemand (oder etwas) kommt; hin — wird
    gebraucht, um die Richtung anzugeben, wohin jemand (oder etwas)
    geht, die Bewegung z u einem bestimmten Punkt, und die Bewegung
    von einem bestimmten Punkt fort.
    Vielfach werden auch die Zeiten falsch angewandt; es heisst:
    Er wird morgen kommen — und nicht: er kommt morgen, denn das
    Morgen liegt noch in der Zukunft.
    Andererseits wird häufig das Futurum gebraucht, wenn der
    Konjunktiv am Platze wäre:
    Möge er glücklich
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