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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl
Autoren: Jules Verne
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nicht verfehlen könnte, das junge Mädchen glücklich zu
    machen.
    Wenn man ihnen glauben durfte – oder vielmehr, wenn
    man sie reden hörte –, schien es, als hätten sie jenen braven
    Mann schon gefunden, dem diese beneidenswerte Aufgabe
    zufallen sollte.
    »Helena ist also ausgegangen, Bruder Sib?«
    »Ja, Bruder Sam; aber es ist schon 5 Uhr und sie muß
    bald zum Cottage heimkehren . . .«
    »Und wenn sie zurückkommt . . .«
    »Denk’ ich, Bruder Sam, wird die geeignete Zeit sein, mit
    ihr einmal ein recht ernsthaftes Gespräch zu führen.«
    — 11 —
    »Binnen wenigen Wochen, Bruder Sib, vollendet unsere
    Tochter das 18. Lebensjahr.«
    »Das Alter der Diana Vernon, Bruder Sam. Ist sie nicht
    ebenso liebreizend wie die bewundernswerte Heldin von
    ›Rob Roy‹?«
    »Gewiß, Bruder Sib, und bei der Grazie ihres Auftre-
    tens . . .«
    ». . . bei der Lebhaftigkeit ihres Geistes . . .«
    ». . . bei der Originalität ihrer Ideen . . .«
    ». . . erinnert sie mehr an Diana Vernon als an Flora Mac-
    Ivor, die große, imponierende Gestalt aus ›Waverley‹!«
    Die auf ihren nationalen Romandichter stolzen Brüder
    Melvill zitierten noch mehrere andere Namen weiblicher
    Hauptcharaktere aus dem ›Altertümler‹, ›Guy Mannering‹,
    dem ›Abt‹, dem ›Kloster‹, dem ›schönen Mädchen von
    Perth‹, dem ›Schloß von Kenilworth‹ usw., aber ihrer Mei-
    nung nach mußten alle Miss Campbell den Vorrang lassen.
    »Sie ist ein junger Rosenstock, Bruder Sib, der etwas
    schnell aufgeschossen ist, und dem es eine Wohltat sein
    wird . . .«
    ». . . ihm eine Stütze, einen Beschützer zu geben, Bruder
    Sam, und da hab’ ich mir sagen lassen, daß der beste Be-
    schützer . . .«
    ». . . natürlich nur ein Ehemann sein kann, Bruder Sib,
    denn er schlägt in demselben Boden Wurzel . . .«
    ». . . und wächst ganz entsprechend, Bruder Sam, mit dem
    Rosenstock, den er schützt.«
    Beide Brüder und Oheime Melvill waren gleichzeitig auf
    — 12 —
    diese, dem ›Vollkommenen Gärtner‹ entlehnte Metapher
    gekommen. Offenbar gewährte ihnen das eine gewisse Be-
    friedigung, denn es erweckte ein völlig gleiches, zufriedenes
    Lächeln auf ihren gutmütigen Gesichtern. Bruder Sib öff-
    nete die gemeinsame Tabaksdose und griff säuberlich mit
    zwei Fingerspitzen hinein; dann wanderte sie in die Hand
    des Bruders Sam, der sich eine tüchtige Prise herauslangte
    und sie dann gelassen in die Tasche gleiten ließ.
    »Also stimmen wir überein, Bruder Sam?«
    »Wie immer, Bruder Sib!«
    »Auch bezüglich der Wahl des Beschützers?«
    »Könnte man überhaupt eine sympathischere und für
    Helena passendere Persönlichkeit finden als jenen jungen
    Gelehrten, der uns wiederholt so anerkennenswerte Ge-
    fühle kundgegeben . . .«
    »Ob ebenso ernsthaft gemeinte?«
    »Wer sollte daran zweifeln? Gut unterrichtet und gradu-
    iert auf den Universitäten von Oxford und Edinburgh . . .«
    ». . . ein Physiker wie Tyndall . . .«
    ». . . ein Chemiker wie Faraday . . .«
    ». . . der alle Dinge dieser Erde von Grund auf kennt, Bru-
    der Sam . . .«
    ». . . und den man mit keiner Frage in Verlegenheit zu
    setzen vermöchte, Bruder Sib . . .«
    »Der Abkömmling einer hochangesehenen Familie der
    Grafschaft Fife und daneben Besitzer eines ziemlichen Ver-
    mögens . . .«
    ». . . ohne seine, meiner Empfindung nach, trotz der Alu-
    — 13 —
    miniumbrille höchst ansprechende Persönlichkeit zu er-
    wähnen!«
    Die Augengläser dieses Helden hätten nun freilich in
    Stahl, in Nickel oder sogar in Gold gefaßt sein können, das
    hätte seinen Wert in der Anschauung der Brüder Melvill
    weder vermehrt noch vermindert. Solche optischen Hilfs-
    mittel stehen übrigens jungen Gelehrten meist recht gut zu
    Gesicht, da sie ihrer Physiognomie den Stempel eines ge-
    wissen würdigen Ernstes aufdrücken helfen.
    Doch würde dieser Graduierte der oben genannten Uni-
    versitäten, dieser leidenschaftliche Physiker und Chemi-
    ker auch Miss Campbell ebenso genehm sein? Glich Miss
    Campbell einigermaßen der Diana Vernon, so weiß jeder-
    mann, daß Diana Vernon für ihren gelehrten Vetter Rasleigh
    keine andere Empfindung hegte, als die einer dauernden,
    aufrichtigen Freundschaft, und daß sie ihn am Ende des
    Buchs nicht heiratete. Schön! Das war indes gar nicht dazu
    angetan, die Brüder Melvill zu beunruhigen. Sie gingen hier
    gänzlich mit der Erfahrung alter Junggesellen zu Werke, das
    heißt, sie verstanden von derartigen Dingen gar
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