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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont
Autoren: Gerhard Roth
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gelblichrote Krokoitkristalle aus Tasmanien und honigfarbenen Bernstein aus Ostpreußen mit eingeschlossenen Spinnen, Ameisen und Pflanzenresten. Gerne zeigte ihm der Großvater ausgestopfte Vögel, die er ohne auf die Karteikarte sehen zu müssen, erkannte, und von welchen er immer häufig zu erzählen wußte, vom Kleinen Sturmtaucher, den er als Seemann an den Küsten Nordwestafrikas gesehen hatte, vom Kaiseradler, dessen bellenden Ruf KJAU-RAU er ihm mit einem lächerlich verzogenen Gesicht und angestrengten Lippen, die hervorquollen wie zu dicke Adern, vormachte, und vom Rebhuhn, dessen guten Geschmack er lobte.
     
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    Vom Museum of Modern Arts hing eine gelbe Flagge. »Sie werden jetzt etwas sehen, das Sie überraschen wird«, sagte O’Maley. Haid haßte es, wenn ihm jemand etwas zeigte und durch Worte eine Überraschung ankündigte, oder wenn man ihn durch Beredsamkeit schon im vorhinein beeindrucken wollte. »Ich habe die Ausstellung, bevor ich Sie in Ihrem Hotel aufsuchte, gesehen. Es handelt sich um Zeitungsfotografien aus der Boulevardpresse. Ich wollte sie Ihnen unbedingt zeigen.«
    Wieder, aber diesmal nur für einen winzigen Augenblick, schien es Haid, als wolle O’Maley ihm eine Falle stellen. Er spürte plötzlich seine Augäpfel brennen, so als müsse er weinen, ohne daß ihm wirklich zum Weinen war. Er schämte sich sofort für seine brennenden und tränenden Augen, drehte sich zur Seite und wischte sie mit dem Taschentuch aus. Er durfte nicht daran denken, dann würde sich das Brennen von selbst legen, er wußte das aus Erfahrung. Umständlich schob er die Brille zurecht, und als er sich in die wie schlafwandlerisch durch die Korridore gehende Menge der Betrachter einreihte, fühlte er sich auf eine unsinnige Weise geschützt. Er suchte O’Maley und sah ihn in einer verdunkelten Nische stehen, in der automatisch Diapositive auf eine Leinwand projiziert wurden. Aber Haid hatte den Eindruck, daß O’Maley weniger die Diapositive betrachtete als ihn. Haid blickte abwechselnd auf die Bilder an den Wänden und auf O’Maley. Nur mit halber Aufmerksamkeit besah er sich die Fotografien: Einen Ermordeten, dessen Kopf im Backrohr eines Gasherdes lag, während der Körper auf zwei zusammengestellten Sesseln ausgestreckt war, einen jungen vor einem toten Hund, der von einem Lastwagen überfahren worden war, und im Hintergrund wie eine Kulisse bei einem Fotografen: Limousinen, Geschäftsschilder und Slapstickpolizisten. Auch die Diapositive, die in der Stille jeweils mit einem Klicken automatisch wechselten, zeigten Mafiagangster, Betrunkene, die mit blutendem Gesicht vor einer Bar lagen, Boxer, die auf die verzerrten, verbeulten Gesichter ihrer Gegner einschlugen, Reiche, die – mit Juwelen und Orden geschmückt – Späße trieben. Haid zog den Regenmantel aus. Er benützte die Gelegenheit, um wieder einen Blick auf O’Maley zu werfen. O’Maley starrte gebannt auf die Diapositive, so als warte er auf ein bestimmtes. Er hatte den Blick eines kaltblütigen Detektivs; Haid hatte den Eindruck, daß er seine Aufmerksamkeit zum Teil nur spielte, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Ein paar Collegestudentinnen drängten sich zwischen die beiden, als ein Bild projiziert wurde, auf dem ein Verbrecher bei einem Polizeiverhör zu sehen war, blutend, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Rasch warf Haid einen Blick auf O’Maley. O’Maley hatte sich ihm voll zugewandt und blickte ihn fragend an. Ohne ein Wort zu sagen, ging Haid hinaus.
     
     
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    Haid hatte zuerst mit dem Gedanken gespielt, sich zu stellen, dann hatte er die Absicht gehabt zu fliehen, aber gleich darauf war er ratlos und unentschlossen gewesen. O’Maley stand plötzlich wieder neben ihm. Haid ließ sich nichts anmerken. Hinter seinem Stirnbein fühlte er einen Druck, und seine Aufmerksamkeit war in Zerstreutheit übergegangen. Wenn er etwas sah, dachte er gleichzeitig an etwas anderes. Eine Zeitlang hatte er unter Blutdruckschwankungen gelitten, aber er war unsicher, ob seine Zerfahrenheit jetzt nicht andere Ursachen hatte, ob sie nicht auf seine nervliche Verfassung zurückzuführen war. Er fühlte, wie seine Haare, wie immer wenn er barhäuptig im Regen auf der Straße ging, sich einkringelten und wie seine Kopfhaut zu jucken begann.
    »Hat Sie irgendein Bild besonders beeindruckt?«, fragte O’Maley.
    »Nein«, antwortete Haid. »Ich verstehe.« Haid dachte über die Frage O’Maleys nach. War sie als eine Anspielung
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