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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition)
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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aufwühlt? »›Es sind so wunderschöne Hemden‹, schluchzte sie in die dicken Stoffe hinein. ›Das macht mich furchtbar traurig – ich habe noch nie zuvor so… so wunderschöne Hemden gesehen.‹« Es gehört zu Fitzgeralds schneidenden Ironien, dass wir Daisy Buchanan den ganzen Roman hindurch nie bewegter und ergriffener erleben als vor Gatsbys Hemden.
    Später sollte Scott Fitzgerald seinem Lektor schreiben, wie sehr es ihn belustige, wenn jemand die Struktur des Romans lobe; allein Max Perkins habe die strukturellen Mängel des Großen Gatsby behoben. Damit spielte der Autor seine eigene Revisionsleistung in den vier Monaten, die auf den Brief vom Oktober 1924 folgten, herunter. Anhand der ersten Bleistiftfassung und der korrigierten Druckfahnen lässt sich ziemlich genau rekonstruieren, an welchen Stellen Fitzgerald das Buch in dem Sinne verbesserte, den Perkins angeregt hatte. Beim Großen Gatsby zielte er auf Vollkommenheit, nicht weniger, und sein literarischer Ahnherr dabei war Joseph Conrad, in dessen Vorwort zum Nigger von der Narcissus (1897) er die beste Definition seiner künstlerischen Absichten gefunden hatte. Der Romanautor, heißt es dort, müsse mit seiner Sprache an sämtliche Sinne appellieren; nur durch die »vollkommene Einheit von Form und Substanz« könne »das Licht magischer Suggestionskraft die banale Oberfläche der Worte für einen flüchtigen Augenblick überspielen«.
    Unmerklich, aber mit größter Effizienz webt der Roman ein feinmaschiges Netz von Motiven, in welchem am Ende nichts gezwungen, aber auch nichts absichtslos erscheint, nicht einmal die kaputte Uhr auf Nicks Kaminsims, die Gatsby herunterstößt und gerade noch mit zitternden Fingern auffängt. Zeit ist immer wieder das Thema. Die verlorene, nicht wiederholbare Zeit. Die Zeit als Abgrund, der Gatsby von Daisy unwiderruflich trennt. Daisy sagt bei der Wiederbegegnung: »Wir haben uns viele Jahre nicht gesehen.« Gatsby weiß es genauer, weil er die Tage gezählt hat: »Fünf Jahre im November.« Obsessiv spricht das Buch von der messbaren Zeit. Auch Nick, der Erzähler, steht unter ihrem Bann: Gatsbys »Antwort kam derart automatisch, dass wir noch einmal mindestens eine Minute lang in Schweigen versanken«. Kurz darauf, beim Anblick von Gatsbys nachlassender Anspannung, wird Nick das Bild verschärfen: »Jetzt löste sich etwas in ihm und kreiste wie die Zeiger einer überdrehten Uhr rückwärts.«
    Fitzgerald stand bei der Überarbeitung des Romans die Wirkung, die er erzielen wollte, klar vor Augen: Er wollte die zerstobene Hoffnung, den willkürlichen Tod eines zwielichtigen Aufsteigers in große Tragödie verwandeln und an der Nichtigkeit seines Traums zugleich die Größe seines Traums beweisen. Dieses Paradox bleibt Fitzgeralds unerreichte Leistung. Das grüne Licht am Ende von Daisys Steg, das Symbol für Gatsbys Sehnsucht, stumm, ohne Botschaft außer für den, der bereit ist, etwas darin zu sehen, dieses grüne Licht taucht nur an drei Stellen im Roman auf, und der symbolische Effekt verdankt sich allein der Überarbeitung, die der Autor im Winter 1924/25 vornahm.
    Andere Revisionen bereiteten Fitzgerald mehr Kopfzerbrechen. Es war ja keineswegs leicht, die Figur Gatsbys dem eitlen, vulgären Umfeld seiner Partygäste oder eines trompetenden Aufschneiders wie Tom Buchanan zu entrücken. Und noch schwieriger, Andeutungen über Gatsbys kriminelle Machenschaften einzuflechten, ohne den Titelhelden der moralischen Verdammung preiszugeben. Wie also konnte Fitzgerald ihn zu etwas Besonderem machen? Indem er ihm die wörtliche Rede strich. Indem er ihn ins Halbdunkel rückte und mit einer Aura der Rätselhaftigkeit umgab. Die Gerüchte und wilden Spekulationen, die sich um diesen sonderbar unnahbaren Menschen ranken, bleiben deshalb im Roman unwidersprochen. Gatsby reagiert kaum auf sie. Nur bei wenigen Gelegenheiten hören wir ihn selbst reden, und wenn, dann oft mit seiner jovialen Anredeformel »alter Knabe«, hinter der sich jedes beliebige Gefühl verbergen könnte. Der Großteil der Information über den Titelhelden wird von Nick beigesteuert, entspringt zweifellos seiner Beobachtung und seiner – nicht unparteiischen – Deutung. Nicht dem Mund des Geschäftemachers, sondern Nick Carraways Feder entströmen die lyrischen Passagen über Gatsbys brennendes Verlangen, die Frau, die ihn seinerzeit verlassen hat, mit allen Mitteln wiederzugewinnen: »Nahezu fünf Jahre! Selbst an jenem Nachmittag muss es
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