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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition)
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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ich kannte, waren im Börsengeschäft tätig, deswegen nahm ich an, dass es leicht noch einen weiteren Mann ernähren konnte. Meine Tanten und Onkel beratschlagten darüber, als gälte es, eine Privatschule für mich auszuwählen, und sagten am Ende mit sehr ernster und zweifelnder Miene: »Also gu-ut.« Vater versprach, ein Jahr lang für mich aufzukommen, und nach manchen Verzögerungen brach ich im Frühling zweiundzwanzig auf und ließ mich – auf Dauer, wie ich glaubte – an der Ostküste nieder.
    Am praktischsten wäre es gewesen, eine Bleibe in der Stadt zu suchen, aber draußen war es warm, und ich hatte gerade ein Land weiter Wiesen und freundlicher Bäume hinter mir gelassen; als mir daher ein junger Mann im Büro vorschlug, mit ihm gemeinsam ein Haus außerhalb der Stadt zu mieten, schien mir das eine großartige Idee zu sein. Er fand auch das Haus, einen verwitterten, baufälligen Bungalow für achtzig im Monat, doch im letzten Moment schickte die Firma ihn nach Washington, und so zog ich allein aufs Land. Ich hatte einen Hund – jedenfalls ein paar Tage, bis er mir weglief –, einen alten Dodge und eine Finnin, die mir das Bett machte, das Frühstück bereitete und am Elektroherd finnische Lebensweisheiten vor sich hin murmelte.
    Zuerst war es einsam dort, doch eines Morgens sprach mich auf der Straße ein Mann an, der vor noch kürzerer Zeit hergekommen war als ich.
    »Wo geht es nach West Egg Village?«, fragte er ratlos.
    Ich sagte es ihm. Und als ich meinen Weg fortsetzte, war ich nicht mehr einsam. Ich war einer, der sich auskannte, ein Pfadfinder, ein Pionier. Er hatte mich beiläufig mit dem Bürgerrecht der Gegend ausgezeichnet.
    Die Sonne schien, ich sah die Blätter an den Bäumen wie im Zeitraffer sprießen, und da regte sich in mir die vertraute Gewissheit, dass das Leben mit dem Sommer neu beginnt.
    Es gab zum Beispiel so viel zu lesen und so viel Gesundheit aus der jungen, atemspendenden Luft zu schöpfen. Ich kaufte mir ein Dutzend Bücher über Bank- und Kreditwesen und sichere Kapitalanlagen, und sie standen in meinem Regal, rot und golden glänzend wie frischgeprägte Münzen, und versprachen, die schillernden Geheimnisse preiszugeben, die nur Midas und Morgan und Maecenas kannten. Überdies hegte ich die hehre Absicht, noch viele andere Bücher zu lesen. Im College hatte ich gewisse literarische Neigungen gehabt – ein Jahr lang schrieb ich sehr ernste, treuherzige Kolumnen für die Yale News  –, und nun wollte ich all diesen Dingen wieder einen Platz in meinem Leben einräumen und aufs Neue zu jenem beschränktesten aller Spezialisten werden: dem »umfassend gebildeten Mann«. Das ist nicht bloß ein Aphorismus – man sieht in der Tat viel mehr vom Leben, wenn man nur aus einem Fenster hinausschaut.
    Der Zufall wollte es, dass ich an einem der sonderbarsten Orte ganz Nordamerikas gelandet war. Er befand sich auf jener schmalen, turbulenten Insel, die sich genau östlich von New York erstreckt und neben anderen Launen der Natur zwei Merkwürdigkeiten hervorgebracht hat: Zwanzig Meilen vor der Stadt ragen zwei gewaltige Eier, die identische Umrisse haben und nur durch eine gefällige Bucht voneinander getrennt sind, in das gezähmteste salzige Gewässer der westlichen Hemisphäre hinein: den großen, nassen Scheunenhof des Long-Island-Sunds. Sie sind nicht vollkommen oval, sondern auf ihrer Landseite – wie das Ei des Kolumbus – flachgedrückt, doch ihre physische Ähnlichkeit muss für die Möwen, die über sie hinwegfliegen, eine Quelle fortwährender Verwunderung sein. Den Flügellosen dagegen dürfte ihre Unähnlichkeit in allen Details außer Größe und Gestalt weitaus interessanter erscheinen.
    Ich wohnte in West Egg, dem – nun ja, dem weniger eleganten der Inselteile, wenngleich das ein äußerst oberflächliches Attribut ist, um den seltsamen und durchaus beklemmenden Unterschied zwischen beiden zu beschreiben. Mein Haus lag oben, nur fünfzig Meter vom Sund entfernt, an der Spitze des Eis zwischen zwei riesigen Villen eingepfercht, die für zwölf- beziehungsweise fünfzehntausend Dollar den Sommer vermietet wurden. Die zu meiner Rechten, eine geradezu kolossale Angelegenheit, war die exakte Kopie eines Hôtel de Ville in der Normandie mit einem Turm an der Seite – funkelnagelneu unter einem dünnen Efeubart –, einem Marmor-Swimmingpool und mehr als 16 Hektar Park- und Rasenfläche. Das war Gatsbys Anwesen. Oder besser gesagt, da ich Mr. Gatsby noch nicht
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