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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition)
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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und gab ein warnendes »Psst!« von sich. Im angrenzenden Zimmer war gedämpftes, leidenschaftliches Geflüster zu hören, und Miss Baker beugte sich ungeniert vor, um zu lauschen. Das Geflüster schwoll an, bis es beinahe zu verstehen war, wurde leiser, brandete stürmisch auf und verebbte dann ganz.
    »Dieser Mr. Gatsby, von dem Sie vorhin sprachen – er ist mein Nachbar –«, sagte ich.
    »Nicht reden. Ich möchte hören, was passiert.«
    »Passiert denn etwas?«, fragte ich treuherzig.
    »Heißt das etwa, Sie wüssten es nicht?«, sagte Miss Baker aufrichtig erstaunt. »Ich dachte, alle Welt wüsste es.«
    »Ich nicht.«
    »Na ja…«, sagte sie zögernd, »Tom hat eine Freundin in New York.«
    »Eine Freundin?«, wiederholte ich dümmlich.
    Miss Baker nickte.
    »Sie könnte wenigstens so viel Anstand besitzen, ihn nicht zur Essenszeit anzurufen. Finden Sie nicht?«
    Noch ehe ich ganz begriffen hatte, was sie meinte, hörte man ein Kleid rascheln und Stiefel knirschen, und Tom und Daisy waren wieder bei uns am Tisch.
    »Entschuldigt bitte!«, rief Daisy angestrengt fröhlich.
    Sie setzte sich, schaute forschend erst Miss Baker, dann mich an und fuhr fort: »Ich war eben kurz draußen – es ist so romantisch! Da sitzt ein Vogel auf dem Rasen, wahrscheinlich eine Nachtigall, die auf der ›Cunard‹ oder der ›White Star Line‹ herübergekommen ist. Sie singt und singt« – sang ihre Stimme – »Ist es nicht romantisch, Tom?«
    »Sehr romantisch«, sagte er und fügte an mich gewandt trübselig hinzu: »Wenn es nach dem Essen noch hell genug ist, würde ich dir gern die Pferdeställe zeigen.«
    Drinnen klingelte schrill das Telefon, und während Daisy Tom anschaute und entschieden den Kopf schüttelte, löste sich das Thema Ställe, ja lösten sich alle Gesprächsthemen in Luft auf. Von den letzten fünf Minuten am Tisch habe ich nur Bruchstücke in Erinnerung behalten, etwa, wie die Kerzen sinnlos wieder angezündet wurden, und ich merkte, dass ich jedem der drei anderen offen ins Gesicht schauen und zugleich allen Blicken ausweichen wollte. Was in Daisys und Toms Kopf vor sich ging, konnte ich nicht einmal erahnen, aber ich glaube, selbst Miss Baker, die sich eine gewisse hartleibige Skepsis antrainiert zu haben schien, war kaum in der Lage, das gellende metallische Insistieren dieses fünften Gastes vollends zu ignorieren. Manchen Gemütern wäre die Situation womöglich faszinierend erschienen – ich aber hätte am liebsten auf der Stelle die Polizei gerufen.
    Natürlich wurden die Pferde mit keiner Silbe mehr erwähnt. Tom und Miss Baker schlenderten, einige Handbreit Zwielicht zwischen sich, in die Bibliothek zurück, als wollten sie bei einem tatsächlich anwesenden Körper Wache halten, während ich freundlich interessiert und ein wenig taub tat und Daisy über eine Kette miteinander verbundener Veranden zur Vorderseite des Hauses folgte. Dort setzten wir uns in tiefer Dunkelheit Seite an Seite auf ein kleines Korbsofa.
    Daisy legte das Gesicht in ihre Hände, wie um dessen hübsche Form zu fühlen, und ihr Blick wanderte langsam hinaus in die samtene Dämmerung. Ich sah, dass sie von heftigen Gefühlen heimgesucht wurde, und so stellte ich ihr ein paar Fragen über ihre kleine Tochter, in der Hoffnung, das würde sie beruhigen.
    »Wir kennen uns nicht sehr gut, Nick«, sagte sie plötzlich. »Obwohl wir verwandt sind. Du warst nicht auf meiner Hochzeit.«
    »Ich war noch nicht aus dem Krieg zurück.«
    »Stimmt.« Sie zögerte. »Tja, ich habe eine schwere Zeit hinter mir, und ich bin ziemlich zynisch geworden.«
    Offenbar hatte sie Grund dazu. Ich wartete ab, doch sie sagte nichts weiter, und nach einer Weile kam ich etwas hilflos wieder auf ihre Tochter zurück.
    »Ich nehme an, sie spricht und – isst und so weiter.«
    »O ja.« Sie schaute mich gedankenverloren an. »Ach, Nick; ich weiß noch, was ich bei ihrer Geburt gesagt habe. Möchtest du’s hören?«
    »Aber sicher.«
    »Du kannst daran erkennen, wie ich inzwischen so – denke. Also, sie war noch nicht einmal eine Stunde alt, und Tom hatte sich Gott weiß wohin verdrückt. Ich wachte mit einem Gefühl völliger Verlassenheit aus der Narkose auf und fragte die Hebamme sofort, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. Als sie mir sagte, es sei ein Mädchen, wandte ich mich ab und weinte. ›Na schön‹, sagte ich, ›ich bin froh, dass es ein Mädchen ist. Und ich hoffe, sie wird eine dumme Gans – das ist das Beste, was einem Mädchen
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