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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman
Autoren: Jennifer Egan
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Arme um ihn, und er drehte sich um, überrascht, aber bereitwillig. Sie küsste ihn auf den Mund, dann öffnete sie seinen Reißverschluss und streifte sich die Stiefel ab. Alex versuchte, sie ins andere Zimmer zu führen, wo sie sich auf das Schlafsofa legen könnten, aber Sasha fiel neben den Tischen auf die Knie und zog ihn mit nach unten, der Perserteppich kratzte an ihrem Rücken, das Licht der Straße fiel durch das Fenster auf sein hungriges, hoffnungsvolles Gesicht, seine nackten weißen Oberschenkel.
    Danach blieben sie noch lange auf dem Teppich liegen. Die Kerzen fingen an zu flackern. Sasha sah den stacheligen Umriss des Bonsais, der sich dicht neben ihrem Kopf vor dem Fenster abzeichnete. All ihre Erregung war gewichen, und übrig geblieben war nur eine schreckliche Traurigkeit, eine brutale Leere, als sei sie bis ins Innerste ausgehöhlt worden. Sie kam mühsam auf die Beine und hoffte, Alex werde bald gehen. Er trug noch immer sein Oberhemd.
    »Weißt du, was ich gern tun würde?«, fragte er und richtete sich auf. »In dieser Wanne ein Bad nehmen.«
    »Kannst du«, sagte Sasha tonlos. »Sie funktioniert. Der Klempner war gerade erst da.«
    Sie zog ihre Jeans über und ließ sich in einen Sessel fallen. Alex ging zur Badewanne, entfernte vorsichtig die Teller von dem hölzernen Deckel und nahm ihn ab. Wasser schoss aus dem Hahn. Die Wucht des Wassers hatte Sasha, bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie den Hahn aufgedreht hatte, immer überrascht.
    Alex’ schwarze Hose lag zerknüllt zu Sashas Füßen. Seine viereckige Brieftasche hatte den Cord an der einen Gesäßtasche abgewetzt, als trage er diese Hose oft und immer mit der Brieftasche an derselben Stelle. Sasha schaute verstohlen zu ihm hinüber. Dampf stieg aus der Badewanne auf, während er prüfend eine Hand ins Wasser hielt. Dann wendete er sich wieder den vielen Gegenständen zu und beugte sich darüber, wie auf der Suche nach etwas Bestimmtem. Sasha sah ihm zu und hoffte auf ein Flackern der Erregung von vorhin, aber die war verschwunden.
    »Kann ich etwas davon nehmen?« Er hob eine Packung Badesalz hoch, die Sasha einige Jahre zuvor, als sie noch miteinander sprachen, ihrer besten Freundin Lizzie geklaut hatte. Das Salz steckte noch immer in seiner getüpfelten Verpackung. Es hatte weit unten in der Mitte des Haufens gelegen, der bei der Entnahme ein wenig in sich zusammensank. Wie hatte Alex es überhaupt entdecken können?
    Sasha zögerte. Sie und Coz hatten lange darüber gesprochen, warum sie die gestohlenen Gegenstände getrennt von ihrem restlichen Leben aufbewahrte; weil es nach Gier oder Eigennutz ausgesehen hätte, sie zu benutzen, weil sie sich sagen konnte, sie werde sie eines Tages zurückgeben, wenn sie sie nicht anrührte, weil ihre Macht nicht versickern konnte, solange sie zu einem Haufen aufgetürmt waren.
    »Glaub schon«, sagte sie. »Sicher darfst du.« Ihr war klar, dass sie jetzt Bewegung in die Geschichte brachte, die sie und Coz schrieben, dass sie einen symbolischen Schritt gemacht hatte. Aber einen Schritt auf das Happy End zu oder von ihm fort?
    Sie spürte Alex’ Hand an ihrem Hinterkopf, er streichelte ihr übers Haar. »Magst du es heiß?«, fragte er. »Oder lauwarm?«
    »Heiß«, sagte sie. »Richtig, richtig heiß.«
    »Ich auch.« Er ging zurück zur Wanne, machte sich an den Armaturen zu schaffen und schüttete ein wenig Salz hinein, und sofort füllte sich der Raum mit einem dampfigen pflanzlichen Geruch, der Sasha zutiefst vertraut war; der Geruch von Lizzies Badezimmer aus den Tagen, als Sasha dort geduscht hatte, nachdem sie und Lizzie im Central Park laufen gewesen waren.
    »Wo hast du Handtücher?«
    Sie lagen zusammengefaltet in einem Korb neben der Toilette. Alex holte sich eins, dann machte er die Klotür hinter sich zu. Sasha hörte, wie er anfing zu pinkeln. Sie kniete auf dem Boden nieder, zog die Brieftasche aus seiner Hose und öffnete sie, ihr Herz glühte unter einem plötzlichen Druck. Es war eine schlichte schwarze Brieftasche, das Leder an den Kanten zu Grau abgewetzt. In aller Eile sah sie den Inhalt durch: eine Kreditkarte, ein Ausweis von seiner Arbeitsstelle, ein Mitgliedsausweis fürs Fitnessstudio. In einem Seitenfach fand sie ein verblasstes Foto von zwei Jungen und einem Mädchen mit Zahnspange an einem Strand. Ein Sportsteam in gelben Trikots mit so kleinen Köpfen, dass sie nicht sehen konnte, ob einer davon Alex war. Aus dem Bündel dieser eselsohrigen Fotos fiel Sasha
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