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Der Grenzgänger

Der Grenzgänger

Titel: Der Grenzgänger
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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rasierte Kinn, es kam nur ein Mensch als Auslöser der kriminellen Handlungen in Betracht. Mechanisch griff ich zum Telefon und rief Böhnke an.
    „Sie könnten Recht haben“, meinte er anerkennend, nachdem ich ihn aufgeklärt hat. „Es fehlt wahrscheinlich nur noch eine Kleinigkeit als Indiz, um den Täter zu überführen.“
    Diese Kleinigkeit wollte ich mir bei Wagner holen. Fleischmanns Verleger hielt vielleicht das letzte und obendrein wichtigste Mosaiksteinchen in Händen, obwohl sein Büro ausgebrannt war. „Wir sollten so schnell wie möglich zu ihm fahren“, schlug ich dem Kommissar vor.
    Er willigte sofort ein. „Ich kümmere mich darum und melde uns bei ihm an, falls er wieder im Lande ist.“ Davon ging Böhnke ebenso aus wie ich; insofern war die Einschränkung überflüssig. In einer halben Stunde wollte der Kommissar mich abholen und auf der Fahrt nach Baesweiler gerne den Umweg über Fleischmanns Wohnung machen, in die ich einen kurzen Abstecher machen wollte.
    Ich hätte dort etwas vergessen, erklärte ich Böhnke, der deswegen nicht nachfragte. Ich hatte etliches bei ihm gut und das wusste er nur zu genau.
     
     
    Gut erholt sah Wagner aus, als wir ihn in seinem Büro begrüßten, in dem er sich alleine aufhielt. Er hatte uns in eines der Mitarbeiterzimmer geführt. Sein Zimmer war zwar renoviert, aber unmöbliert, wie ich durch die geöffnete Tür sehen konnte. „Sie sehen frisch und ausgeruht aus“, machte ich Wagner ein schleimiges Kompliment.
    „Das täuscht“, entgegnete er mit leiser Stimme, während er uns Stühle an einem Tisch anbot. Das Zimmer wirkte aufgeräumt, als habe jemand vor dem Urlaub fein säuberlich seinen Arbeitsplatz sortiert und sei noch nicht zurückgekehrt. Die Bildschirme der Computer waren abgeschaltet, die Aktenordner standen ordentlich in den Regalen. Hier wurde offensichtlich nicht gearbeitet. „Die letzten Wochen waren schrecklich für mich. Immer wieder habe ich mir vorgestellt, was noch hätte passieren können“, bedauerte Wagner sich. Er hatte die Zimmertür geschlossen und setzte sich zu uns.
    Sein Gejammer über Vergangenes ließ mich unberührt. „Was wollen Sie jetzt tun?“, unterbrach ich ihn. „Machen Sie hier weiter oder hören Sie etwa auf?“
    Der Verleger wechselte betrübte Blicke zwischen Böhnke und mir. „Ich höre auf. Ich habe nicht mehr die Energie, um noch einmal neu zu beginnen. Der immaterielle Schaden ist zu groß. Ich kann das Schreckliche nicht vergessen.“ Seine Mitarbeiter hätte er auf andere Stellen vermittelt. „Ich werde mich mehr ums Leben kümmern. Sie sehen ja, wie schnell es beendet sein kann.“
    Er werde sich in sein Blockhaus in Kanada zurückziehen und von dort aus die Welt bereisen. „Meine Frau und die Kinder sind gestern schon losgeflogen. Wir werden dort unseren neuen Lebensmittelpunkt haben.“
    „Und Sie werden noch einige Früchte Ihres ehemaligen Verlags ernten“, sagte ich freundlich lächelnd. Aus Wagners Sicht war diese Entscheidung verständlich.
    Der Verleger hob erstaunt die Augenbrauen, er schien mich nicht zu verstehen.
    „Ich meine, Sie haben bestimmt noch irgendwo Restposten, die verkauft werden. Außerdem gibt’s ja noch jährlich einen schönen Scheck von der Verwertungsgesellschaft Wort“, fügte ich hinzu. „Oder?“
     
     
    Wagner lächelte schwach und winkte müde ab. „Die paar Kröten machen weder den Hasen fett noch die Toten wieder lebendig.“
    Die Bemerkung machte mich stutzig. Ich sah kurz Böhnke an, der mir aber zu verstehen gab, nicht nachzuhaken. „Was passiert mit Ihrer Lektorin, Frau Doktor Renate Leder?“, fragte der Kommissar höflich.
    „Was soll mit ihr werden? Ich weiß es nicht“, antwortete Wagner. „Für mich kann sie jedenfalls nicht mehr arbeiten. Bei mir gibt es nichts mehr zu tun, der Christian-Maria-Wagner-Verlag hat seine Geschäftstätigkeit aufgegeben. Ich kann nur für sie beten, dass sie bald wieder auf die Beine kommt.“
    „Sie wissen, dass Frau Leder schwanger ist?“
    Für einen Augenblick schoss die Röte in Wagners gebräuntes Gesicht. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Woher soll ich das wissen?“, antwortete er gereizt mit einer provozierenden Gegenfrage.
    Aber ich ließ mich nicht beirren und kam zum nächsten Komplex. „Das Doppelleben Ihres Autors Renatus Fleischmann ist Ihnen bekannt?“ Wieder schien es, als zeigte der Verleger eine Reaktion. Doch er blieb äußerlich ruhig und gelassen. „Nein. Was ist mit
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