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Der Grenzgänger

Der Grenzgänger

Titel: Der Grenzgänger
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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Ich konnte ohnehin nichts mehr ändern und Böhnke allenfalls über eine Honorarforderung eine Retourkutsche verpassen. Aber wie ich mich kannte, würde ich darauf verzichten.
    „Wer hat denn jetzt Fleischmann ermordet oder ermorden lassen?“, fragte ich den Kommissar.
    „Woher soll ich das wissen?“, antwortete er mit einer Gegenfrage. „Ich weiß nur, dass Schranz ebenso wenig in Frage kommt wie Gerstenkorn.“
    „Was spricht zu Gunsten von Gerstenkorn?“ Zwar hatte auch ich den Politiker nicht mehr auf der Rechnung, aber ich wollte wissen, wie Böhnke seine Ansicht begründete. „Sein politischer Instinkt“, meinte der Kommissar. „Als Gerstenkorn erfuhr, dass Fleischmann ermordet worden ist, sah er die Zeit gekommen, sich abzuseilen. Er konnte sich denken, dass er über kurz oder lang von den Ermittlungen betroffen und politischen Schaden erleiden würde. Spätestens nach dem verschlüsselten Hinweis auf sein Konto wusste er, was die Stunde für ihn geschlagen hatte. Da zog er kurzerhand die Reißlinie und verabschiedete sich schnurstracks in den unverdienten Ruhestand.“
     
     
    Offenbar lagen Böhnke und ich doch auf der gleichen Wellenlänge. Ähnlich hätte ich auch argumentiert. Doch gab es noch eine Ungereimtheit. „Wieso stand der ausgebrannte Geländewagen von Gerstenkorn in der ehemaligen Baumschule in Erkelenz?“
    Böhnke erhob sich und brachte das Tablett zum Tablettwagen. „Weil ihn jemand dorthin brachte, der uns auf Gerstenkorn lenken wollte“, antwortete er.
    „Was ist mit Schmitz, dem Exschwager von Langerbeins?“ Es war mehr ein hoffnungsloser Versuch als eine konkrete Spur, die ich aufgriff.
    „Den können Sie abhaken. Der ist mit den Nerven völlig am Ende und liegt im Krankenhaus. Der kann doch keiner Fliege etwas zu Leide tun und ist außerdem ein feiger Hund“, antwortete Böhnke.
    „Wissen Sie, was ich denke?“, sagte ich, während wir zurück zu Böhnkes Büro gingen, und ich berichtete dem Kommissar von meiner Vermutung.
    Er stimmte mir zu. „Es gibt also jemanden, der im Prinzip genauso viel weiß wie wir. Aber wer ist’s?“
    Vielleicht könne uns Wagner weiterhelfen, schlug ich vor. „Wir sollten ihn morgen besuchen und ihn fragen. Einverstanden?“
    Schaden könne es nicht, entgegnete Böhnke zustimmend. „Übrigens“, er hielt mich schmunzelnd zurück, „das mit dem zähen Rindfleisch war natürlich ein Scherz. Der Junge hat genug Dreck am Stecken, auch ohne meine Reklamation.“
     
     
    Es wurde schon wieder dunkel, als ich zum Templergraben zurückkehrte. Ich wunderte mich zunächst über das Licht, das aus meiner Wohnung schien, dann hatte ich es eilig.
    Sabine saß am Schreibtisch und zog gerade ein Blatt Papier aus der Druckerablage, als ich ins Zimmer trat. Ich umarmte sie und gab ihr einen satten Kuss.
    „Mehr davon“, sagte sie strahlend, „ich freue mich, wieder bei dir zu sein.“
    Die Freude sei beiderseitig, versicherte ich und sah mich kurz um. „Wo ist denn das Schöne, das du mir mitbringen wolltest?“
    Meine Liebste löste sich aus meiner Umarmung und griff zu einer großen Einkaufstüte. Sie hatte mir eine blaue Jeans und ein graues Sweatshirt mitgebracht.
    Und sie gab mir einen Packen Papier. „Ich habe die Geschichte von Fleischmann aufgeschrieben, die du mir am Telefon erzählt hast. Du magst doch gerne alles schwarz auf weiß.“ Sabine hatte während unserer Telefonate stenografiert und den Text jetzt umgesetzt. „Ich musste doch etwas tun, während ich hier auf dich gewartet habe. Oder hast du etwa geglaubt, ich würde deine unordentliche Hütte auf Vordermann bringen?“

Altpapier
     
     
     
    Der verschobene Hausputz war am nächsten Tag angesagt. Sabine wirbelte mit Eimer und Tuch durch meine kleine Wohnung. Sie hatte mich dazu verdonnert, nicht behindernd am Schreibtisch Platz zu nehmen und sie ungestört arbeiten zu lassen.
    Gerne gehorchend widmete ich mich den Aufzeichnungen, die meine Liebste für mich angefertigt hatte, und wunderte mich beim Lesen mehr und mehr über die Hinweise, die in dem Text enthalten waren. Ich hatte sie in der tagtäglichen Hektik nicht beachtet, übersehen, falsch interpretiert. Mit meinem Wissen vom Vortag, den Kenntnissen über Fleischmann, der Aufzeichnung meiner Erlebnisse, Renates Soziogramm und meinem Studium der Dokumente brauchte ich nur einmal in die Rolle des bislang Unbekannten zu schlüpfen und schon war der Fall beinahe sonnenklar. Nachdenklich rieb ich mir übers glatt
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