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Der Grenzgänger

Der Grenzgänger

Titel: Der Grenzgänger
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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lauschen und den Schlaf zu verdrängen. Sie dienten mir allenfalls dazu, mich schonend darauf aufmerksam zu machen, dass die Nacht leider vorbei war. Doch diesmal war ich schon im Verlauf der ersten Meldung hellwach. „Der aus Geilenkirchen stammende Krimiautor Renatus Fleischmann wurde gestern am späten Abend tot im Lahey-Park bei Erkelenz-Kückhoven aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach geht von einem Gewaltverbrechen aus“, meldete eine Nachrichtensprecherin kurz und knapp mit monotoner Stimme. Ihr war unzweifelhaft anzuhören, dass sie die Nachricht nicht sonderlich interessierte, weil sich das Verbrechen in Kückhoven ereignet hatte und nicht in Aachen.
    Ich schüttelte mich ungläubig.
    „Was ist?“, schnurrte Sabine schlaftrunken. Sie legte ihren nackten Arm um mich und schmiegte sich enger an mich.
    Behutsam schob ich ihre lange, blonde Haarpracht aus meinem Gesicht und starrte auf die weiße Zimmerdecke. „Ach, nichts Besonderes“, murmelte ich nachdenklich, „ich glaube, ich habe mal wieder das Verbrechen angezogen.“
    „Wenn’s weiter nichts ist.“ Sabine ließ sich von meiner Antwort überhaupt nicht bekümmern. „Dafür bist du ja Spezialist.“ Sie drehte sich träge auf die Seite und schlummerte weiter. Es gab wahrscheinlich nichts mehr, das meine Liebste erschüttern konnte.
    Neugierig griff ich im Büro nach den beiden Aachener Tageszeitungen. Neben der Lokalberichterstattung gehörten die Hochzeitsnachrichten und die Todesanzeigen fast schon zur routinemäßigen, alltäglichen Pflichtlektüre. Immerhin waren frisch angetraute Eheleute als mögliche Scheidungsfälle ebenso unsere Klientel wie die Hinterbliebenen der aus dem Lebensspiel ausgeschiedenen Mitmenschen.
    Als Spezialist für Familienangelegenheiten aller Art war mein Freund Doktor Dieter Schulz die Anlaufstelle für zwischenmenschliche Problemfälle schlechthin, wenn es galt, Scheidungen abzuwickeln oder Erbstreitigkeiten zu schlichten. Den nicht unbeachtlichen und ertragreichen Rest der Kanzleiarbeit besorgte ein Heer von angestellten Anwälten mitsamt Sekretärinnen und Schreibkräften und letztendlich meine Wenigkeit, die versuchte, das hektische Treiben in unserem Büro in organisatorische Bahnen zu lenken. Weshalb ich meine Ausbildung zum Volljuristen gemacht und die Zulassung als Rechtsanwalt beantragt hatte, war mir manchmal schleierhaft, denn höchst selten kam ich in den Genuss, selbst einen juristischen Streitfall zu übernehmen.
    Dieter begründete meine Arbeit im Hintergrund vornehmlich mit meinem angeblich unmöglichen Auftreten. „Wer wie du nur mit Jeans und Sweatshirt herumläuft und die Leute dabei auch noch unverschämt angrinst, den kann ich einfach nicht auf die Menschheit loslassen“, behauptete er stets. Dabei wusste mein Freund genauso gut wie ich, dass nur ich seinen Laden, der eigentlich unser Laden war, im Griff halten konnte, er ohne mich aufgeschmissen war und ich durch meine Büroarbeit im Endeffekt die Hände frei hatte, um andere, nahezu unmögliche Fälle zu übernehmen, die nicht immer in den üblichen Arbeitsbereich einer Anwaltskanzlei fielen.
    Ein solcher Fall schien sich anzubahnen, wie ich voller Unbehagen vermutete. Ich rechnete, spätestens nach der Rundfunknachricht, fest damit, dass mich der tote Renatus Fleischmann in der nächsten Zeit mehr beschäftigen würde als mir lieb sein konnte. Und auf mein untrügerisches Gespür konnte ich mich leider viel zu oft verlassen.
     
     
    Vergeblich suchte ich in den Zeitungen nach einer Meldung über Renatus Fleischmann. Wahrscheinlich, so vermutete ich, war die Meldung über den Leichenfund erst nach Andruck der Ausgaben bekannt geworden.
    Ich wollte mich gerade einem der von mir so geliebten Artikel über das Dauertheater bei den momentan über Gebühr bejubelten und demnächst garantiert wieder verschmähten Fußballern der Alemannia widmen, als das Telefon klingelte.
    Es gab nur wenige Anlässe, die ernst genug waren, mich bei meiner morgendlichen Lesestunde zu stören. Wenn Sabine jetzt ein Gespräch für mich in der Leitung hielt, war ein solcher Anlass garantiert gegeben. „Dein Freund Böhnke will dich sprechen“, verkündete meine Liebste mir feierlich.
    Ich schmunzelte kurz in mich hinein, während ich das Gespräch übernahm.
    Böhnke, Kommissar bei der Kriminalpolizei in Aachen, war mir in den letzten Jahren zum väterlichen Freund geworden, nachdem wir gemeinsam einige verzwickte Kriminalfälle gelöst hatten. Wir
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