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Der Grenzgänger

Der Grenzgänger

Titel: Der Grenzgänger
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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konnten uns vorbehaltlos aufeinander verlassen und vertrauensvoll miteinander reden, wenn wir gegenseitig Rat und Tat brauchten, ohne sogleich befürchten zu müssen, dass die ausgetauschten Informationen missbräuchlich verwandt wurden.
    Böhnke hielt sich nicht lange an einer überflüssigen Vorrede auf. „Sie verteidigen Frau Doktor Leder?“, fragte er zu meiner großen Verblüffung.
    „Wie bitte?“ Mir kreisten urplötzlich unendlich viele Gedanken durch den Kopf, während sich meine kurzen Nackenhaare sträubten als untrügliches Zeichen dafür, dass ich von jetzt auf gleich unter Hochspannung stand. „Wie bitte?“, fragte ich vorsorglich noch einmal. „Wer behauptet das?“
    „Frau Doktor Leder hat es uns gegenüber jedenfalls erklärt“, antwortete der Kommissar ruhig.
    „Wenn Frau Doktor Leder es sagt, wird es wohl stimmen“, entgegnete ich mit scheinbarer Gelassenheit, die erkennen ließ, dass ich mit dieser kühnen Behauptung keineswegs einverstanden war. „Was liegt denn so Schreckliches an?“
    „Was schon?“ Böhnke lachte auf. „Die Frau kam heute Morgen ins Präsidium und gestand frank und frei, sie hätte Renatus Fleischmann umgebracht.“
    „Aha“, bemerkte ich langsam und hämisch, „jeder, der zu Ihnen ins Büro kommt und einen Mord gesteht, ist erstens der Täter und zweitens automatisch mein Mandant.“ Ich wehrte mich innerlich gegen die Aufgabe, die sich unweigerlich näherte. Mir stand nicht der Sinn nach Mord und Totschlag oder nach geständigen Mandantinnen. „Die tickt doch nicht ganz sauber, Ihre Mörderin, Herr Superermittler.“
    „Es hat keinen Sinn, mit Ihnen am Telefon zu reden, mein Freund“, fiel mir Böhnke rasch ins Wort, er kannte mich und meine bisweilen impulsiven Ausfälle zur Genüge. „Wie wär’s, wenn ich Sie abhole und wir eine Spritztour machen?“, schlug er versöhnlich vor. „Dabei kommen wir bestimmt besser miteinander klar.“
    „Okay“, brummte ich widerwillig. Ich wollte Böhnke nicht widersprechen, obwohl ich nicht wusste, ob überhaupt und wie diese Tour mit dem angeblichen Geständnis zu vereinbaren war. Aber er meinte es bestimmt gut mit mir. „In einer Stunde?“
    „Nein“, antwortete mein älterer Freund, „frühestens in zwei. Ich will zunächst Ihre Mandantin vernehmen und ihr bei dieser Gelegenheit mitteilen, dass Sie für den Moment unabkömmlich sind.“
    „Aber halten Sie sich gefälligst an die Prozessordnung“, knurrte ich, „sonst nehme ich Sie vor Gericht nach allen Regeln der Kunst auseinander.“
    Böhnke lachte vergnügt auf. „Sehen Sie, Herr Grundler, eine treffende Bemerkung von mir und schon sind Sie fast wieder der Alte.“
     
     
    Da hatte ich mir etwas Schönes eingebrockt. Nachdem ich mich geweigert hatte, den Krimiautor zu suchen, ging seine Lektorin hin, suchte ihn selbst und brachte ihn um. „Mist!“, fluchte ich laut vor mich hin. Vielleicht würde der Kerl noch leben, wenn ich gestern seine Lektorin nicht abgewiesen hätte.
    Hatte ich deshalb eine moralische Mitschuld an seinem Tod? „Mit Sicherheit nicht. Das konntest du doch nicht ahnen“, meinte Dieter beschwichtigend, als ich ihn über den Sachverhalt informierte. Er saß in seinem Sessel, ich vor seinem Schreibtisch im Besucherstuhl und beide hatten wir unsere Denkhaltung eingenommen, die Arme im Nacken verschränkt und die Beine auf der Tischplatte übereinander geschlagen. Es gab beinahe nichts, das wir nicht miteinander besprachen. Dieters Ratschläge waren mir lieb und teuer wie auch meine für ihn stets wichtig waren.
     
     
    Viele Menschen, die uns sahen, hielten uns beim ersten Anblick für Zwillinge, die sich nur durch ihre Kleidung unterschieden. Blauäugig und blond, groß und schlank und Ende dreißig kannten wir uns schon seit fast einem Dutzend Jahren. Dieter hatte mich damals nicht ganz freiwillig in einem Strafverfahren verteidigt, seitdem hielt unsere Freundschaft; ohne ihn wäre mein Leben wahrscheinlich anders verlaufen.
    „Ich hätte nicht anders reagiert, wenn die Frau mich angerufen hätte“, fuhr mein Freund fort. „Wo kämen wir hin, wenn wir bei jedem von uns abgewiesenen Mandanten vermuten müssten, er könnte anschließend ein Verbrechen begehen?“
    ,Dieter hatte Recht’, dachte ich mir. Ich sah nachdenklich aus dem Bürofenster und in die trotz des Frühherbstes schwach belaubte Krone einer der wenigen noch vorhandenen Linden auf der Theaterstraße. „Was soll ich tun?“
    „Was schon?“ Dieter stand auf
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