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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif
Autoren: Gary Jennings
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großem Stolz und großer Selbstzufriedenheit erfüllte. Dieser Bursche hatte früher Nethla Johannes geheißen - vermutlich wegen der Form seines Kopfes, denn der Name bedeutete
    »Nadel, Johannes' Sohn« -, aber jetzt hatte er den noch lächerlicheren Namen Bruder Joseph angenommen.
    Lächerlich deshalb, weil kein Mönch oder Priester, kein Kloster und keine Kirche sich jemals nach dem heiligen Joseph nannte, der, wenn überhaupt, lediglich als
    Schutzpatron der betrogenen Ehemänner galt. An
    Sonntagen und anderen Feiertagen hatte Bruder Joseph die Aufgabe, laute hölzerne Rasseln zu schütteln und so die Leute in Tal und Dorf zum Gottesdienst in der Klosterkapelle zusammenzurufen. An anderen Tagen stand er als
    Vogelscheuche auf einem Acker und rasselte, um die Vögel fernzuhalten.
    Meine Pflichten als Kind waren fast genauso anspruchslos wie die von Bruder Joseph, aber wenigstens waren sie so abwechslungsreich, daß mir nicht langweilig wurde. So half ich etwa im Skriptorium, frischen Pergamentbögen den
    letzten Glanz zu verleihen - man benutzt dazu das Fell eines Maulwurfs, weil es die Eigenschaft hat sich anzuschmiegen, egal in welche Richtung man reibt; anschließend rauhte ich die Oberfläche der Bögen mit Bimsstein auf, damit die
    Präzeptoren mit ihren Federkielen gut darauf schreiben konnten. Meist war ich sogar derjenige, der zuvor die
    Maulwürfe mit einer Schlinge gefangen hatte, der die
    Galläpfel sammelte, aus denen Tinte hergestellt wurde, und der beim Rupfen der Schwäne das schmerzhafte Stechen
    der Federkiele aushalten mußte.
    An anderen Tagen sammelte ich auf den Feldern Myrte,
    aus der unser Bruder Medicus einen kräftigen Tee braute, oder Distelwolle, mit der Bruder Schneider seine Kissen füllte; die Gänse und Schwäne versorgten uns zwar reichlich mit weichen Flaumfedern, doch war ein solcher Luxus im Schlafsaal eines Klosters unvorstellbar. An wieder anderen Tagen zog ich ein verzweifelt gackerndes und flatterndes Huhn durch sämtliche Rauchfänge der Abtei, um sie zu
    säubern. Den Ruß brachte ich dann unserem Bruder Färber, der ihn mit Bier aufkochte und eine braune Tinktur zum-Färben der Mönchskutten daraus herstellte.
    Mit zunehmendem Alter wurden mir verantwortungsvollere Pflichten übertragen, etwa bei Bruder Sebastian in der Molkerei. Bruder Sebastian goß Sahne in zwei Korbfässer, die über den Rücken unseres alten Zugpferdes hingen, und sagte feierlich: »Sahne ist die Tochter der Milch und die Mutter der Butter.« Dann setzte er mich auf die Stute und hieß mich, im Hof so lange im Schrittempo mit ihr
    herumzureiten, bis sich die Sahne wie von Zauberhand in Butter verwandelt hatte.
    Nun gut. Von frühester Jugend an mußte ich hart arbeiten und lernen, und nur selten kam ich aus dem von steilen Felswänden eingeschlossenen Tal hinaus. Aber da ich nie ein anderes Leben kennengelernt hatte als dieses, hätte ich mich vielleicht damit zufrieden gegeben und mir kein
    anderes gewünscht. Wenn mich in späteren Jahren Wein
    oder körperliche Liebe in eine nachdenkliche Stimmung
    versetzten, überlegte ich, daß ich mich an jenem Bruder Petrus nicht ganz so hart hätte rächen sollen, wie ich es tat.
    Wäre er nicht gewesen, ich säße vielleicht heute noch in St.
    Damian oder einem anderen Kloster, und mein Geheimnis
    wäre selbst für mich noch ein Geheimnis, verborgen unter der Kutte eines Mönchs, Meßdieners, Diakons, Priesters, Abts oder womöglich sogar Bischofs.
    Ich war nämlich gründlich belesen in den heiligen Schriften der christlichen Kirche und deren Lehren, Vorschriften und Liturgie - ich wußte weit mehr als die meisten Klosterschüler.
    Das kam daher, daß Dom Clemens seit seiner Ankunft im
    Kloster ein persönliches Interesse daran gezeigt hatte, mir zu einer gewissen Bildung zu verhelfen. Wie alle anderen glaubte er, ich sei gotischer Herkunft und der gotische Glaube, Aberglaube oder Unglaube sei mir angeboren. Er versuchte deshalb, mir denselben auszutreiben und mich im rechten christlichen Glauben zu erziehen.
    Wenn der Abt sich zu mir setzte, vergaß er nie, mit
    Abscheu in der Stimme auszurufen: »Die Goten, mein Sohn, sind ein uns fremdes Volk. Sie haben wölfische Namen und wölfische Seelen, und jeder zivilisierte Mensch sollte sie meiden.«
    »Aber Nonnus Clemens«, wandte ich bei einer solchen
    Gelegenheit ein, »unser Herr Jesus Christus hat sich nach seiner glorreichen Geburt doch zuerst Fremden geoffenbart.
    Er kam aus Galiläa, und die drei
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