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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif
Autoren: Gary Jennings
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Entscheidung aus aufrichtigem Mitleid getroffen haben; sollte ich je das Alter eines Erwachsenen erreichen, würde ich die Privilegien und Rechte eines Mannes
    genießen, die in den Ländern der Christenheit selbst Frauen vornehmster Abstammung vorenthalten sind.
    So wurde ich in die Abtei aufgenommen - wie ein
    gewöhnlicher
    Junge, der von seinen Eltern fürs Kloster bestimmt worden ist. Im Dorf fand man eine Amme für mich, bis ich alt genug war, entwöhnt zu werden. Es ist kaum zu glauben, aber
    offensichtlich bewahrten die drei Menschen, die die Wahrheit über mich wußten, darüber Stillschweigen. Als ich ungefähr vier Jahre alt war, suchte eine Pest das ganze Königreich von Burgund heim. Zu den Einwohnern von Balsan
    Hrinkhen, die der Seuche zum Opfer fielen, gehörten jener Abt, der Wundarzt und auch die Amme, so daß ich mich
    später kaum noch an diese drei Menschen erinnern konnte.
    Bischof Patiens von Lugdunum benannte bald einen
    neuen Abt für St. Damian: Dom Clemens, vormals Lehrer
    am Seminar in Condatus. Wie ich selbst und die anderen Mönche und Dorfbewohner, die von der Pest verschont
    geblieben waren, nahm auch Dom Clemens
    selbstverständlich an, ich sei ein Junge. Und so geschah es, daß meine Doppelnatur während der nächsten acht Jahre
    von niemandem bemerkt oder auch nur vermutet wurde
    mich selbst eingeschlossen -, bis der lüsterne Bruder Petrus sie zu seiner Freude zufällig für sich entdeckte.
    Das Klosterleben war nicht einfach, aber auch nicht
    übermäßig beschwerlich; St. Damian hielt sich nicht an die strengen Gesetze der Askese und der Abstinenz, wie es die viel älteren klösterlichen Gemeinschaften in Afrika, Ägypten und Palästina taten. Das strenge nördliche Klima und die körperliche Arbeit, die wir verrichteten, berechtigten uns Mönche von St. Damian dazu, uns besser zu ernähren und uns im Winter an Wein zu erwärmen und im Sommer mit Ale und Bier zu erfrischen. Da die Ländereien der Abtei im Überfluß die verschiedensten Speisen und Getränke
    lieferten, sahen der Abt und der Bischof keinen Grund, uns deren Genuß vorzuenthalten.
    Die meisten Mönche von St. Damian kamen aus Burgund,
    aber es gab bei uns auch zahlreiche Franken und Vandalen, einige Schwaben und Vertreter anderer germanischer Völker und Stämme. Beim Eintritt in die Abtei legten sie ihre germanischen Namen ab und übernahmen lateinische oder
    griechische Namen von Heiligen, Propheten, Märtyrern oder ehrwürdigen Bischöfen der Vergangenheit. So wurde aus
    Kniva dem Schielenden Bruder Commodian, aus Avilf dem
    Starken Bruder Addian, und so fort.
    Wie ich bereits erzählte, hatte jeder Mönch eine tägliche Arbeit zu verrichten, und Dom Clemens tat sein Bestes, jedem eine Arbeit zuzuweisen, die er aus seinem Leben
    außerhalb der Klostermauern kannte. Unser Wundarzt
    Bruder Hormisdas war früher Medicus einer adligen Familie in Vesontio gewesen. Bruder Stephanus, der einst ein
    großes Gut verwaltet hatte, war nun unser Kellermeister und Herr über unsere Vorräte.
    Mönche, die des Lateins mächtig waren, wurden
    Präzeptoren, Lehrer, und kopierten Schriftrollen und Bücher im Skriptorium der Abtei, während andere, die künstlerisch begabt waren, die Texte mit Bildern schmückten. Brüder, die Gotisch lesen und schreiben konnten, arbeiteten im
    Chartularium, in dem alle Schriftstücke des Klosters sowie die Hochzeits-, Geburts-und Todesurkunden und
    gegenseitigen Pachtverträge der im Tal wohnenden Laien aufbewahrt wurden. Bruder Paulus, der in beiden Sprachen meisterhaft zu schreiben verstand, war Dom Clemens'
    persönlicher Schreiber. Er kratzte die vom Abt diktierten Briefe so schnell, wie sie gesprochen wurden, auf
    Wachstafeln, um sie anschließend in Schönschrift auf
    Pergament zu schreiben.
    Zu den Ländereien der Abtei gehörten Krauter- und
    Gemüsegärten und Höfe und Scheuern mit Geflügel,
    Schweinen und Milchkühen, die von Mönchen versorgt
    wurden, die früher Bauern gewesen waren. Außerdem
    besaß die Abtei innerhalb und außerhalb des Tales weite Felder, Weinberge, Obstgärten und Weiden für Schafe und Rinder. In St. Damian gab es im Gegensatz zu vielen
    anderen Mönchsklöstern keine Sklaven; statt dessen stellte man einheimische Bauern an, den Boden zu pflügen und die Herden zu beaufsichtigen.
    Selbst der einfältigste unserer Klosterbrüder - ein armer Kerl, dessen Kopf wie ein Kegel nach oben spitz zulief -
    erhielt einige einfache Aufgaben zugewiesen, welche er mit
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