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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif
Autoren: Gary Jennings
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sie die
    Wahrheit sprechen, sind sie überflüssig. Bringt sie zum Schweigen.«
    Das von Saio Thorn zusammengetragene Manuskript
    enthält viele Wahrheiten. Aber alle diese, seien es Daten, Einzelheiten, Berichte von Schlachten oder andere
    überprüfbare Ereignisse, habe ich bereits in meine eigene Historia Gothorum aufgenommen, wo sie interessierten Gelehrten sehr viel leichter zugänglich sind als in den weitschweifigen und ungenauen Ausführungen des
    Marschalls.
    Als eine Nacherzählung der Wahrheit ist Saio Thorns Buch mithin überflüssig.
    Sollte der Rest, also der Großteil des Buches, nicht
    schlichtweg frei erfunden sein, dann ist es über alle Maßen pietätlos, blasphemisch, unzüchtig und obszön, und wird den Leser abstoßen und anekeln, der nicht wie ich von Berufs wegen ein Geschichtsschreiber und geübt ist in der Kunst der leidenschaftslosen Objektivität. Als Historiker weigere ich mich kategorisch, den Wert eines geschriebenen Werkes
    nach moralischen Maßstäben zu bemessen. Als Christ
    jedoch muß ich dieses Buch mit Schrecken und Abscheu
    betrachten. Selbst als einfacher Mensch kann ich darin nur eine Anhäufung übelster Perversitäten erkennen. Da alles Lesenswerte in diesen Seiten an anderen Stellen leicht zugänglich ist, muß ich dieses Werk als überflüssig und verderblich verdammen.
    Nichtsdestoweniger wurde mir die Verwahrung dieses
    Werks übertragen. Ich habe keine Möglichkeit, es an seinen Verfasser zurückzugeben, denn von Marschall Thorn wurde schon einige Zeit, bevor man den König tot entdeckte, nichts mehr gesehen noch gehört. Allgemein wird angenommen, er habe sich aus Kummer über das Hinscheiden des Königs in den Padus oder das Meer gestürzt. Nolens volens finde ich mich mit diesem Manuskript belastet und kann es nicht
    ruhigen Gewissens zerstören.
    Ich weigere mich jedoch, dieses Werk in den königlichen Archiven oder irgendeinem der Öffentlichkeit zugänglichen Skriptorium niederzulegen. Doch ich kann es an einem Ort verwahren, an dem es niemals das Auge eines
    Unvorsichtigen beleidigen wird. Morgen wird König
    Theoderich feierlich in seinem Mausoleum zur letzten Ruhe aufgebahrt, zusammen mit verschiedenen Insignien seiner Königswürde, bevorzugten Gegenständen, Kunstwerken und Andenken an seine Regierungszeit. Dazu wird auch dieses Manuskript gehören. So wird es auf ewig unsichtbar und zum Schweigen verdammt begraben liegen.
    Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus Senator Filius 12 - Schlussbemerkung des Übersetzers
    Theoderich starb am vorletzten Tag des Jahres 1279 nach der Gründung Roms, also am 30. August 526 n. Chr. - und mit ihm der letzte Glanz dessen, was einstmals das
    weströmische Reich umfaßte. Seiner Führung beraubt,
    zerfiel das gotische Königreich innerhalb der nächsten dreißig Jahre in eine Reihe kleiner, sich gegenseitig
    bekämpfender Staaten. Und Europa, des zivilisierenden
    Einflusses des Königreichs ledig, stürzte in ein Jahrhunderte währendes Zeitalter des Elends, der Verzweiflung, des
    Aberglaubens, der barbarischen Unwissenheit und
    lähmenden Lethargie in das finstere Mittelalter.
    Theoderichs marmornes Mausoleum steht noch immer in
    Ravenna. Doch wurde die Stadt im Mittelalter mehr als nur einmal von Invasionen, Belagerungen, Plünderungen,
    Aufständen, Hungersnöten, Seuchen und Verwüstungen
    heimgesucht. Irgendwann, niemand weiß den genauen
    Zeitpunkt, entweihten Grabräuber Theoderichs Ruhestätte.
    Sein einbalsamierter Körper, umhüllt von einer massiven goldenen Rüstung, wurde gestohlen und tauchte nie wieder auf. Die Räuber nahmen auch sein Schlangenschwert, sein Schild, die Insignien seines Amtes und alle anderen
    Gegenstände, die mit ihm beerdigt worden waren. Außer
    dem Manuskript des Marschall Thorn, welches erst vor
    kurzem entdeckt wurde, blieben bisher alle anderen dieser verlorenen Schätze verschwunden.
    Die Bücher, die Thorn als Quellen gotischer Geschichte, Tradition, Taten und Errungenschaften zitierte - die Biuhtjos jäh Anabusteis af Gutam, die Saggwasteis af Gut-Thiudam, Ablabius' De Origine Actibusque Getarum, selbst Cassiodors Historia Gothorum -
    sind später von weltlichen wie
    geistlichen Herrschern verdammt, in den Bann getan und vernichtet worden. Diese Bücher sind, wie auch die
    arianische Religion, das gotische Königreich und die Goten selbst, schon lange vom Angesicht dieser Erde
    verschwunden.
    Danksagungen
    Vorliegendes Buch hätte nicht geschrieben werden
    können ohne die Hilfe
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