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Der Graf und die Diebin

Der Graf und die Diebin

Titel: Der Graf und die Diebin
Autoren: Patricia Amber
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Ernstfall stärker war. Er konnte ihr die Gabel aus den Händen reißen und sie dann zu Boden werfen. Er konnte sie sogar mit dem Gabelstiel verprügeln, das hatte er früher oft getan. Aber sie wusste auch, dass er Angst vor ihr hatte. Deshalb schlich er sich auch immer von hinten an sie heran, der Feigling. „Glotz mich nicht so an, Hexe. Den bösen Blick hast du.“
    „Verschwinde“, kommandierte sie. „Pack dich ins Haus. Sonst sag ich es der Mutter.“ Er wand sich. Ein Sprung nur, ein rascher Stoß, er würde sie rücklings ins Heu werfen, ihr die Röcke bis über den Bauch hochschieben und sich endlich erleichtern. Aber diese hellen Augen, die ihn so gefährlich anstarrten – als wollten sie ihn durchbohren – hielten ihn in Schach. Der böse Blick – der Zigeuner musste ihn ihr vererbt haben.
    „Pierre?“ Das war die Stimme von Marthe, Jeannes Mutter. Der Bauer schnaubte zornig. Verfluchte Weiber. Hielten alle zusammen.
    „Wir sind auf dem Heuboden, Mutter!“, rief Jeanne geistesgegenwärtig. Man hörte unten das Knarren der Scheunentür, die schief in den Angeln hing und nur schwer zu bewegen war. Dann das Geräusch eines schweren Eimers, der hastig abgestellt wurde.
    „Der Teufel soll dich holen, du Dreckschlampe“, zischte Pierre und wandte sich zur Leiter. Jeanne beobachtete, wie er langsam in der Versenkung verschwand. Als nichts mehr von ihm zu sehen war, lehnte sie sich erschöpft gegen einen hölzernen Balken. Die Gabel glitt aus ihren Händen, es wurde ihr schlecht, sie musste sich auf den Boden setzen. Ein Schüttelfrost überlief sie so heftig, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Unten hörte sie die Mutter schelten.
    „Lass endlich das Mädel in Ruh’. Wirst noch dein Seelenheil verlieren mit deinen widernatürlichen Gelüsten. Bist schon so ein alter Kerl und gierst nach jungem Fleisch.“
    „Eine Zigeunerhure ist sie. Wie ihre Mutter! Hast doch damals auch dein Vergnügen gehabt mit den fremden Kerlen. Die ganze Nacht hast es mit ihnen getrieben....“
    „Weil ich keinen Mann gehabt hab, der mich hätte verteidigen können. Wo bist denn gewesen? Auf dem Speicher hast dich versteckt, du Lapp....“
    Die Stimmen entfernten sich. Jeanne wusste, dass sie noch eine Weile streiten würden. Sie kannte jedes Wort, das gesagt werden würde, denn die Mutter und ihr Mann Pierre stritten um diese Sache seit Jeanne auf der Welt war. Zigeuner waren damals im Dorf gewesen, hatten getanzt und getrunken, und dann waren einige von ihnen in den Hof eingedrungen. Pierre hatte sich auf dem Dachboden versteckt, zitternd vor Angst, man könnte ihn verprügeln oder gar erstechen. Marthe war mit den kleinen Kindern unten in der Küche geblieben. Was geschehen war, hatte sie niemals erzählt. Aber Jeanne, die neun Monate später geboren wurde, war ein Zigeunerbalg, das wussten alle im Dorf.
    Langsam richtete sie sich wieder auf und steckte sich das Mieder vorn zusammen. Trotzig stieß sie mit dem Fuß gegen die hölzerne Mistgabel, dass sie gegen das Scheunendach polterte. Staub und Taubendreck rieselten auf Jeanne herab, sie hustete.
    Die Mutter würde natürlich wieder ihr die Schuld geben.
     
     
     
    Der junge Comte de Saumurat saß am Bachufer, einen Grashalm zwischen den Zähnen, und betrachtete versonnen das Spiel der kleinen Wellen und Wirbel im Wasser. Überrascht stellte er fest, dass dieses Gurgeln und Plätschern ihn mehr faszinierte als alles andere, das um ihn herum geschah.
    „He, Christian. Wo steckst du? Sie werden gleich hier sein.“
    René de Bragnol, groß und breit wie ein Bär und rothaarig wie seine normannischen Vorfahren, wartete neben dem improvisierten Pavillon, die Arme in die Seiten gestemmt. Da hatte man keine Mühe gescheut, alles nach den Wünschen des jungen Comte herbeizuschaffen, und jetzt hockte er am Bach und träumte vor sich hin.
    „Bin schon da“, rief Christian, strich sich das helle, lockige Haar aus der Stirn und erhob sich.
    Unter dem Pavillon aus weißen Tüchern hatte man Polster und Kissen ausgebreitet, Körbe mit Früchten und Leckereien standen bereit, und in einer hölzernen Kiste warteten etliche Flaschen Wein aus dem Schlosskeller darauf, die fröhlichen Zecher zu berauschen. Dort stand bereits Claude Gorion, ein schmaler, dunkelhaariger junger Mann, bemüht, die ersten Flaschen zu öffnen und die bereitgestellten Gläser zu füllen.
    „Nimm einen Schluck, Christian!“ Christian hatte kaum die Lippen an den Rand des Glases gesetzt, da stieß
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