Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
dass die Tochter zur Atheistin geworden ist. Dass sie nicht an Gott glaubt, das können sie gerade noch ertragen, aber eine Atheistin? Eine ATHEISTIN? (Die Stimme der Mutter steigert sich zum Kreischen.)
    An dieser Stelle muss ich vor allem den amerikanischen Lesern etwas sagen, denn die heutige Religiosität in den Vereinigten Staaten ist wirklich bemerkenswert. Die Anwältin Wendy Kaminer übertrieb nur geringfügig, als sie bemerkte, sich über Religion lustig zu machen sei ebenso gefährlich wie das Verbrennen einer Fahne in der American Legion Hall. 1 Atheisten nehmen heute in Amerika die gleiche Stellung ein wie vor fünfzig Jahren die Homosexuellen. Heute, nach der Schwulenbewegung, ist es für einen Homosexuellen zwar immer noch nicht einfach, aber immerhin möglich, in ein öffentliches Amt gewählt zu werden. Das Gallup-Institut befragte 1999 die US-Bürger, ob sie eine ansonsten gut qualifizierte Person wählen würden, wenn es sich um eine Frau (96 Prozent ja), einen Katholiken (94 Prozent), einen Juden (92 Prozent), einen Schwarzen (92 Prozent), einen Mormonen (79 Prozent), einen Homosexuellen (79 Prozent) oder einen Atheisten (49 Prozent) handele. Wir haben ganz offensichtlich noch einen langen Weg vor uns. Aber Atheisten sind insbesondere in der Bildungselite viel zahlreicher, als vielen Menschen klar ist. Das war schon im 19. Jahrhundert so, als John Stuart Mill sagen konnte: »Die Welt wäre erstaunt, wenn sie wüsste, welch großer Anteil ihrer hellsten Zierde, derer, die selbst nach der volkstümlichen Einschätzung von Weisheit und Tugend am angesehensten sind, der Religion ganz und gar skeptisch gegenüberstehen.«
    Das gilt heute sicher in noch stärkerem Maße, und im dritten Kapitel nenne ich dafür Belege. Dass so viele Menschen die Atheisten nicht bemerken, liegt daran, dass viele von uns sich nicht »outen«. Es ist mein Traum, dass dieses Buch den Menschen bei ihrem »Coming out« hilft. Hier gilt genau das Gleiche wie in der Homosexuellenbewegung: Je mehr Menschen sich zu ihrer Überzeugung bekennen, desto einfacher wird es für andere, sich ihnen anzuschließen. Irgendwann dürfte eine kritische Masse für den Beginn einer Kettenreaktion erreicht sein.
    In den USA lassen Meinungsumfragen darauf schließen, dass Atheisten und Agnostiker weitaus zahlreicher sind als praktizierende Juden; ihre Zahl ist sogar größer als die der Anhänger der meisten anderen religiösen Einzelgruppen. Aber im Gegensatz zu den Juden, die bekanntermaßen in den USA eine der effizientesten politischen Interessengruppen darstellen, und zu den evangelikalen Christen, die eine noch größere politische Macht haben, sind Atheisten und Agnostiker nicht organisiert, und deshalb haben sie so gut wie keinen Einfiuss. Atheisten zu organisieren wurde häufig mit dem Hüten eines Sacks Flöhe verglichen, weil sie in der Regel selbstständig denken und sich keiner Autorität unterordnen. Aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, wenn sich eine kritische Masse derer bilden würde, die sich outen und damit auch andere ermutigen, das Gleiche zu tun. Auch wenn man Flöhe nicht hüten kann, machen sie sich in ausreichender Zahl doch so bemerkbar, dass man sie nicht mehr ignorieren kann.
    Das Wort »Wahn« ( delusion , Irrglaube) im Titel meines Buches hat manchen Psychiatern Sorge bereitet: Sie sehen darin einen Fachbegriff, mit dem man kein Schindluder treiben sollte. Drei von ihnen schlugen mir in ihren Zuschriften einen besonderen Begriff für religiöse Wahnvorstellungen vor: »relusion«. 2 Vielleicht setzt sich das Wort ja durch. Vorerst werde ich bei »Wahn« bleiben, muss meinen Begriffsgebrauch allerdings rechtfertigen. Das Penguin English Dictionary definiert »delusion« als »falschen Glauben oder Eindruck«. Das Zitat, das in dem Wörterbuch zur Erläuterung angeführt wird, stammt erstaunlicherweise von Phillip E. Johnson: »Der Darwinismus ist die Geschichte, wie die Menschheit von dem Irrglauben befreit wurde, ihr Schicksal werde nicht von ihr selbst, sondern von einer höheren Macht bestimmt.« Kann das derselbe Phillip E. Johnson sein, der heute in Amerika an der Spitze der kreationistischen Bewegung gegen den Darwinismus steht? Er ist es tatsächlich, und wie man vielleicht schon vermuten kann, ist das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. Ich hoffe, man wird es mir zugute halten, dass ich darauf hingewiesen habe – den gleichen Gefallen hat man mir in zahlreichen kreationistischen Werken
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher