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Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Titel: Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Taten, kein Edelmut. Man schlug zu, um zu überleben. Blindlings, womöglich einen Freund oder Verwandten oder Bekannten treffend. Die Hauptsache war, dass man selbst nicht zu Schaden kam.
    Herr Attamay fühlte Schmerz in seiner linken Schulter. Er war unachtsam gewesen; ein klein gewachsener Malekufte mit dem Signet der Haselnuss hatte ihm einen Hieb von oben herab verpasst, der den Lederschutz durchdrungen und zwei, drei Zentimeter tief ins Fleisch gefahren war, ohne allerdings Sehnen zu durchtrennen oder das Schlüsselbein zu berühren. Herr Attamay gab dem Pferdegesichtigen keine Gelegenheit, einen weiteren Treffer anzubringen. Er zerschnitt ihm in einer fließenden Bewegung die vorderen Muskelpartien beider Oberschenkel. Der Malekufte schrie, Haut platzte auf wie bei zu lange gekochten Würsten. Er machte Schreckliches durch. Zu Recht. Er hatte es gewagt, ihn zu verletzen – und er sollte leiden dafür!
    Weitere Hiebe. Weitere Tote. Weitere Taten, für die er sich an einem anderen Ort würde rechtfertigen müssen. Herr Attamay schob und drängelte und hieb und focht. Blindlings, seinem Gefühl gehorchend, seinen Instinkten folgend. Ein Berg an Leibern wuchs rings um ihn und Herrn Rudynar Pole an. Verletzte und Sterbende lagen neben- und übereinander. Sie bildeten einen dissonant klingenden Chor. Schrien um Hilfe, flehten ihre Götter herbei, wünschten sich einen raschen Tod oder wollten ihre Kinder und Frauen bei sich haben. All ihr Zorn war verflogen. Sie waren bloß noch erbarmungswürdige Geschöpfe, die um so viel schlechter dran waren als jene, die sich nicht mehr rührten.
    Herr Attamay sah sich um und holte tief Atem. Die Gegner waren tot oder geflohen; einige wenige sammelten sich in einem Abstand von zwanzig Schritten. Sie blickten unsicher in seine und Herrn Rudynar Poles Richtung, tuschelten miteinander, hoben unschlüssig die Waffen, angetrieben von einem kleinwüchsigen Mann mit den Insignien eines Unteroffiziers.
    Herr Attamay lachte und winkte den Kämpen, näher zu kommen. Er strahlte eine Selbstsicherheit aus, die er keinesfalls fühlte. Er war schrecklich müde, und der Schmerz der Schulterwunde machte sich nun bemerkbar. Doch sein Gelächter erzeugte die gewünschte Reaktion: Das letzte Dutzend kampfbereiter Gegner drehte sich um und verließ den Ort des Schreckens. Anfänglich langsam, um ihre Würde zu wahren, dann immer rascher werdend, verfolgt von seinen und Herrn Rudynar Poles Schmährufen.
    Sie stellten sich Schulter an Schulter und drehten sich im Kreis, ein letztes Mal, um nur ja sicher zu sein, dass da niemand mehr war, der ihnen gefährlich werden konnte. Kein kampfbereiter Arm, der sich zwischen den Leichenbergen hervorbohrte und ihnen die Achillessehne durchtrennte oder ihnen andere Verletzungen zufügte. Kein Bogenschütze, der sich im Zuge des Gefechts angenähert hatte und sie spicken konnte. Kein Meuchelmörder, der sich schlangengleich anpirschte, auf diesem Stück Land, auf dem sie noch vor einer Stunde gearbeitet und gesät hatten.
    »Gute Arbeit, Herr Attamay.«
    »Wir gehören eben noch nicht zum alten Eisen.« Das war eine Lüge. Vor Herrn Attamays Augen tanzten helle Pünktchen, und er atmete so rasch, dass ihm ein jedes Wort schwerfiel. Herr Rudynar Pole hingegen wirkte völlig unbeeinträchtigt von all der Schwertarbeit.
    »Vorerst haben sie genug«, sagte der Freund.
    Er log sich selbst ins Hemd, und beide wussten sie es. In wenigen Minuten würden neue Kämpfer die Hügel herabgestürmt kommen, frische und ausgeruhte – und wesentlich besser ausgebildete. Männer, die nicht auf einer Ackerscholle groß geworden waren, sondern in den Schulungsarenen des Kriegers.
    Herr Attamay sah sich nach weiteren Mitstreitern um. Einige wenige standen mit tapfer erhobenen Dolchen und Schwertern hinter ihnen, leichenblass und zitternd. Viele hatten sich in den Schutz des Erdwalls und des Palisadenzauns zurückgezogen. Noch mehr lagen zwischen den toten Angreifern.
    Er kannte sie alle. Sie waren seine Nachbarn, Freunde und Kameraden gewesen; Dörfler, die ihren Tribut hatten zollen müssen. Er schätzte, dass die Zahl der wehrfähigen Männer und Frauen um mehr als ein Drittel reduziert worden war.
    »Wir ziehen uns weiter zurück!«, brüllte Herr Attamay. »Nehmt Waffen, Schilder und alles andere an euch, das sich für den Kampf einsetzen lässt. Unser Werkzeug bleibt zurück. Macht schon, rasch!«
    Schon formierte sich der Gegner neu. Auf den Hügelkämmen zeigten sich
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