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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied
Autoren: Roland Mueller
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Entwürfe alle von der Wand, denn er hatte sich längst entschieden.
    Am nächsten Morgen begann das Tagwerk im Hause des Fallen noch früher als sonst. Wie immer saßen der Meister und sein Lehrling zusammen bei einem Frühstück. Fallen verwöhnte seinen Schützling immer mehr. War er doch der Meinung, dass sie beide hart genug arbeiten mussten, und dafür sollten sie sich gutes Essen leisten. So ließ er für jeden Morgen frische Milch besorgen und, wann immer es ging, wilden Honig aus Nottingham oder Stanford, den reisende Imker zweimal die Woche auf dem großen Markt in London feilboten. Gwyn liebte besonders die großen Wabenstücke. Als besondere Leckerei verzehrte er sie samt dem dünnen Wachsmantel. Dazu gab es schwarzes Brot und milden Ziegenkäse, wie ihn Händler einmal pro Woche am Südtor anboten.
    »Du hast mir verschwiegen, dass du einen Entwurf gemacht hast«, unterbrach Fallen die Stille an diesem frühen Morgen.
    Gwyn war überrascht. Dem Meister schien nichts verborgen zu bleiben. »Ich glaubte, es wäre anmaßend.«
    »Es ist anmaßend, Söhnchen!«, bemerkte Fallen mit gespielter Strenge in der Stimme.
    »… aber es ist ein perfekter Entwurf«, fügte er gleich dazu. Gwyn lächelte ein wenig verlegen. Fallen aß weiter und beobachtete den Jungen dabei heimlich von der Seite. Er war sehr stolz auf den Eifer und die Begabung des Jungen.
    »Du weißt, meine Hände taugen nicht mehr für solch feines Tun«, sprach er weiter. Er bemühte sich, seiner Stimme nichts von der leisen Verzweiflung anmerken zu lassen, die ihn immer öfter befiel, wenn er sich seinem geliebten Handwerk nicht mehr in dem Maße widmen konnte wie bisher.
    »Eure Hände ersetzen noch viele Meister, Herr.«
    »Gemach, Junge, gemach! Veracht mir nicht die Herren der Zunft. Sind Faber wie ich und … vielleicht eines Tages auch du.« Fallen lachte ein wenig bei diesen Worten.
    »Hab dich genug gelehrt. So wirst du die Arbeit ausführen. Zum Fest des heiligen Elegius sind es noch 15 Tage. Bis dahin wird das Werk zu schaffen sein. Ich geh dir zur Hand.«
    Gwyn war sich dieser besonderen Ehre bewusst, und er freute sich sehr. Der Auftrag der Mönche war nur eines fähigen Meisters würdig. Und er selbst, Gwyn, ältester Sohn des Carlisle, würde helfen, ihn zu schaffen, nach seinem Entwurf!
    Den ganzen Tag lang besprachen sie jedes Detail der geplanten Arbeit. Fallen beschloss, an Gwyns Entwurf nichts mehr zu ändern. Zusammen berechneten sie die Maße und übertrugen sie auf die Skizze, die Gwyn in der Nacht zuvor gezeichnet hatte. Sie schätzten Gewicht und Wandung, erstellten die Liste für das nötige Material und begannen noch am Abend mit der Überprüfung der Werkzeuge. Die endgültige Politur würden sie einem Aufbereiter überlassen. Der würde den fertigen Kelch in einem heißen Weinsteinbad sieden, um ihn dann mit Blutstein und Eberzähnen zu polieren. Eine langwierige und keinesfalls leichte Arbeit, die nur die Ausreiber, geübte Handwerker ihres Faches, beherrschten.
    Am Morgen darauf begannen sie beide mit der Schaffung eines Abendmahlkelches für das Kloster von Dorchester.
    Fein abgewogen vermengte Gwyn zwei Teile Gold mit einem Teil Messing. Dazu kam dieselbe Menge reinen Silbers. Die Metalle erhitzte er und goss daraus dicke Platten, die er immer wieder miteinander verschmolz. Fallen prüfte ständig die Beschaffenheit des Metalls, wenn es rotglühend vor ihm lag. Die Erfahrung vieler solcher Schmelzvorgänge ließ ihn das Metall »lesen«. Immer wieder schmolz Gwyn es neu. Erst nach zwei Tagen war Fallen zufrieden. Der Geruch nach verbrannter Holzkohle und heißem Metall zog durch das ganze Haus und ließ die Männer mit brennenden Augen zu Bett gehen. Den dritten Tag lang ließen sie die zwei flachen Barren ruhen. An diesem Tag gingen sie zum Bogenschießen und besprachen dabei die weiteren Arbeitsschritte. Gwyn war glücklich und zugleich wie gefangen. Er konnte sich nicht erinnern, je in seinem Leben ein solch herrliches Gefühl verspürt zu haben. Unter den prüfenden Augen des alten Meisters schuf er sein erstes großes Werk.
    Gwyns Kopf schien zu schweben.
    Er spürte die Schwere in seinen Armen. Seit Stunden trieb er nacheinander beide Barren auf einer eisernen Unterlage zu einem dünnen Blech.
    »Du musst das goldne Blech strecken«, hatte ihm Fallen erklärt. »Zwing es heraus aus seiner plumpen Form. Du denkst, edles Metall wie dieses ist spröde. Doch dies denkt nur, wer’s nicht näher weiß. Gold
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