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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied
Autoren: Roland Mueller
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schwärzlichen, übel stinkenden Brei auf die gereinigten Stellen der Schale. Immer nur in dem Ausmaß wie sein Fingernagel, denn im nächsten Augenblick war die Masse erkaltet. Dabei achtete Gwyn darauf, dass dieser grauschwarze Brei nichts von den feinen Ornamenten verdeckte. Dieses Niellieren dauerte erneut zwei ganze Tage. Er und der Meister gönnten sich nur zur Mittagszeit eine Stunde Pause, die sie mit Gesprächen und einem Krug Schwarzbier verbrachten.
    Den Fuß der Schale ließen sie von dieser Art der Verzierung aus. Der alte Fallen übernahm derweil weitere Arbeiten, so gut es der Zustand seiner schmerzenden Hände zuließ. Er tordierte feinen Draht auf einer kleinen Drahtbank, um diesen Draht dann zu gleichmäßigen, goldenen Kordeln zu flechten. Diese Flechten rankte Gwyn leicht um den größten Umfang des Kelches. Bald nahmen sie die Form einer Weinrebe an. Er verstiftete sie mit winzigen Nieten aus Messing und Silber. Zum Schluss verschloss er alle Unebenheiten mit einer feinen Lötung, die er auftrug und sogleich mit einem Bimsstein glättete. Jene Umrankung wuchs nun mit einer scheinbar selbstverständlichen Leichtigkeit wie eine natürliche Weinranke um den massiven Kelch. Ein Betrachter sollte im ersten Moment glauben, jener rote Wein, der einmal in dem goldenen Gefäß bewahrt werden sollte, würde den puren Ranken Wasser sein und sie wachsen lassen, als wüchsen sie an einem knorrigen Weinstock. Gwyn schnitzte aus glattem Buchenholz kleine Blätter, wie sie grün an einem Weinstock wachsen. Diese bettete er in eine Tonform, die sich nach dem Brennen im Ofen öffnen ließ wie eine Muschelschale. Durch zwei feine Öffnungen, der Faber nennt sie Pfeifen, goss er flüssiges Gold in die Form. Nach dem Öffnen der Form lag jeweils ein echt wirkendes Weinblättchen vor ihm, die feine Äderung im Blatt gerade noch andeutend, mit einem kurzen Stiel wie das echte Vorbild. Jedes dieser Blätter band er mit einem feinen Draht an die Rebe aus edlem Metall und überzog die Stellen alle mit einer sauber gelöteten Schicht.
    In den Ranken verblieben zwölf Rundungen, sanft und weich geformt, jede einzelne mit einer Fassung versehen. Darin würden ganz zum Schluss die Perlen, die zwölf Apostel, ihren Platz finden.
    Es dauerte noch einige Tage, bis sie letzte Details angebracht und bearbeitet hatten. Dazwischen lag ein weiterer Tag, den der Ausreiber zum Glätten und Polieren des Kelches brauchte. Als der Mann den Kelch poliert zurückbrachte, konnte er sein Staunen über die herrliche Arbeit nicht verbergen. Nun war der prächtige Becher in Form einer weiten, geschwungenen Trinkschale fertig.
    Über und über mit der feinen, goldsilbernen Niellierung bedeckt, von zartem Weinlaub aus purem Gold umfasst, geführt von einer Rebe aus demselbem Material, die scheinbar aus der Wölbung der Schale herauswuchs, wurden an diesem Kelch von Gwyn unter den wachsamen Augen seines Meisters die letzten Kleinodien angebracht: die Perlen, welche die zwölf Apostel genannt. Jede einzelne dieser herrlichen Juwelen passte der Lehrjunge in die vorgefertigten Fassungen ein. Feine Klauen aus dünnem Blech hielten sie fest, so als wüchsen an dieser goldenen Weinrebe nur einzelne große Trauben mit milchig weiß schimmernden Kugeln, jede prächtig und wohlgestalt. So strahlte die fertige Arbeit eine Leichtigkeit aus, wie man sie in jener Zeit noch nie gesehen hatte. Gwyn Carlisle hatte unter der Obhut seines Lehrherrn sein erstes Meisterwerk geschaffen.
    ***
    Die Reise nach Dorchester traten sie an einem frühen Morgen an. Die Tage im November waren alle sehr kalt. Gwyn und sein Meister gingen durch das Nordtor auf der Landstraße und dann in die Richtung nach Canterbury. Solange es tagsüber einigermaßen trocken blieb und der alte Mann nicht vorzeitig müde wurde, war eine gute Strecke zu schaffen. Gwyn bot an, seinen Lehrherrn zu stützen, doch der lehnte ab. Die frische kalte Luft und der Marsch würden ihm guttun. Gwyn sollte die Schale tragen, den Schatz des Klosters von Dorchester.
    Die Reise dauerte drei Tage. Übernachten konnten sie beide Male in einer kleinen Schenke, wie man sie in jedem Ort fand. Die Kathedrale zu Canterbury gehörte zu einem jener Orte in dieser Gegend, welche Ziel war für all die frommen Pilgerströme, die sich aus allen Teilen des Abendlandes einfanden, um zu beten und zu büßen. Auf dieser Straße trafen sich Landfahrer und Taschenspieler, Waffenknechte und wandernde Söldner, Huren und Mönche nicht
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