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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes
Autoren: Lian Hearn
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Schultern fallen.
    Ihr Haar war fort, ihr Kopf geschoren.
    Ihre Augen sahen mich an. Im Gesicht hatte sie keine Narben; es war so schön wie immer, doch ich sah es kaum. Ich sah in ihre Augen, sah, wie sie gelitten hatte und wie das Leid sie geprägt und stärker gemacht hatte. Der Kikutaschlaf würde ihr nie wieder etwas anhaben können.
    Immer noch wortlos, drehte sie sich um und zog das Tuch von ihren Schultern. Ihren Nacken, der so perfekt und weiß gewesen war, überzogen rote und violette Narben, dort, wo ihr Haar sie verbrannt hatte.
    Ich legte meine verstümmelte Hand darüber, bedeckte ihre Narben mit den meinen.
    Lange blieben wir so stehen. Ich hörte den gellenden Ruf des Reihers, der in sein Nest flog, das endlose Murmeln des Wassers und den schnellen Schlag von Kaedes Herz. Wir standen geschützt unter dem Felsvorsprung und ich bemerkte nicht, dass es begonnen hatte zu schneien.
    Als ich auf die Landschaft hinausblickte, färbte sie sich bereits weiß vom ersten Schnee des Winters, der sie zudeckte.
    Am Ufer des Flusses schnaubten die Fohlen, erstaunt über den Schnee, den ersten, den sie sahen. Im Frühjahr, wenn er wieder schmolz, würde ihr Fell so grau sein wie das von Raku.
    Ich betete, dass der Frühling Heilung bringen würde: unseren Wunden, unserer Ehe und unserem Land. Und dass der houou, der heilige Vogel aus den Legenden, wieder zu uns zurückkehren würde.

EPILOG

    Seit fast fünfzehn Jahren leben die Drei Länder nun in Frieden und Wohlstand. Der Handel mit dem Festland und den Barbaren hat uns reich gemacht. Inuyama, Yamagata und Hagi besitzen Paläste und Schlösser, die auf den Acht Inseln ihresgleichen suchen. Der Hof der Otori, heißt es, kann es in seiner Pracht mit dem des Kaisers aufnehmen.
    Es gibt ständige Bedrohungen - mächtige Persönlichkeiten wie Arai Zenko innerhalb unseres Landes, Kriegsherrn von außerhalb, die Barbaren, die von unserem Wohlstand stärker profitieren wollen, sogar der Kaiser und sein Hof, die unsere Rivalität fürchten, doch bis jetzt, da ich in meinem zweiunddreißigsten Lebensjahr stehe und seit vierzehn Jahren regiere, sind wir in der Lage gewesen, all dies mit einer Mischung aus Stärke und Diplomatie unter Kontrolle zu halten.
    Die Kikuta, angeführt von Akio, haben ihren Kampf gegen mich nie aufgegeben, und mein Körper trägt die Male ihrer zahlreichen Versuche mich zu töten. Wir bekämpfen sie weiter; es wird uns zwar nie gelingen, sie ganz auszulöschen, aber die Spione, die unter Kenjis und Takus Führung für mich arbeiten, halten sie im Zaum.
    Sowohl Taku als auch Zenko sind verheiratet und haben inzwischen selber Kinder. Zenko gab ich Hana, meine Schwägerin, zur Frau, um ihn stärker an mich zu binden, was aber nur zum Teil gelang. Der Tod seines Vaters steht noch immer zwischen uns und ich weiß, dass er mich stürzen wird, falls sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.
    Hiroshi lebte an meinem Hof, bis er zwanzig war, und kehrte dann nach Maruyama zurück, als treuer Verwalter der Domäne, bis meine älteste Tochter sie später einmal von ihrer Mutter erben wird.
    Kaede und ich haben drei Töchter: Die älteste ist dreizehn, ihre beiden jüngeren Schwestern, Zwillinge, sind elf. Unsere älteste Tochter gleicht ihrer Mutter bis aufs Haar und zeigt keinerlei Anzeichen irgendwelcher Stammesfähigkeiten. Die Zwillinge sind sich zum Verwechseln ähnlich, sogar die Male der Kikuta auf ihren Handflächen sind identisch. Die Leute fürchten sich vor ihnen, und das zu Recht.
    Kenji spürte meinen Sohn vor zehn Jahren auf, als der Junge fünf war. Seither beobachten wir ihn, doch ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand ihm etwas antut. Ich habe viel und lange über die Prophezeiung nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich, sollte dies mein Schicksal sein, ihm nicht entfliehen kann. Und sollte es anders kommen - denn Prophezeiungen, wie Gebete, erfüllen sich zuweilen auf unvorhergesehene Art und Weise -, ist es umso besser, so wenig wie möglich Einfluss zu nehmen. Und ich kann nicht verhehlen, dass mir mit den körperlichen Gebrechen, die mich immer stärker quälen, und mit der Erinnerung an den schnellen, ehrenvollen Tod, mit dem ich den Qualen und Demütigungen, die mein Adoptivvater Shigeru durch Iida Sadamu erleiden musste, ein Ende setzte, immer öfter der Gedanke kommt, dass mein Sohn mich erlösen wird, dass ich den Tod von seiner Hand willkommen heißen werde.
    Doch mein Tod ist eine andere Geschichte der Otori - und
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