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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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und Brians alte Herren sind im Öl-Geschäft. Dereks macht in Banken. Ich bin der einzige literarische Typ bei uns.«
    Ich schaute ihn an und nahm einen Schluck Margarita.
    »Diesen Benjamin, was meinst du, sollte ich den mal lesen?«
    Ich steckte mir noch einen Shrimp in den Mund, um mehr Zeit für eine Antwort zu haben.
    »Du meinst, fürs Filmgeschäft?«
    »Na ja, so halt. Das klang irgendwie cool, was Barstow da erzählt hat. Was schreibt der denn sonst noch so?«
    »Benjamin?«
    »Ja.«
    »Er hat ziemlich viel geschrieben. Ist aber lange her.«
    »Ach so. Er lebt nicht mehr?«
    »Nein. Er hat sich auf der Flucht vor den Nazis in Südfrankreich das Leben genommen. 1940 war das.«
    Frederic machte ein ernstes Gesicht.
    »Also, das habe ich alles sowieso noch nie kapiert. Ich meine, du bist doch von da. Wie konnte das nur passieren?«
    »Du meinst das mit Hitler?«
    »Ja. Und das mit den Juden. Das ist doch einfach nicht zu fassen, oder?«
    »Nein.«
    Ich trank noch einen Schluck Margarita. Die Wirkung des Alkohols milderte das Absurde der Situation ein wenig. Meine Fantasie begann, mir Streiche zu spielen. Ich sah Walter Benjamin in einem japanischen Kleinwagen, Modell Aura, Goethe I auf dem Nummernschild, wie er in New York vor dem Institut für Sozialforschung einen Parkplatz sucht. Dann fiel mir Winfried ein, sein merkwürdiger Satz, alles, was ihn an Deutschland jemals interessiert habe, sei in der Hillcrest Library vorhanden. War das Dummheit? Oder Zynismus? Oder beides? Oder stimmte es vielleicht sogar?
    Wir fuhren noch zwei weitere Clubs an. Die Happy Hour war mittlerweile überall vorbei und auf jedem neuen Tablett, das ein Kellner vor uns abstellte, lag eine gesalzene Rechnung. Allerdings erschien immer sofort eine goldene Kreditkarte daneben, sodass ich mit meinem idiotischen Fünfzigdollarschein erst gar nicht zum Zug kam. Als ich trotzdem einmal Anstalten machte, meinen Geldbeutel herauszuholen, spürte ich sofort Frederics Hand auf meinem Unterarm.
    »Lass das einfach«, sagte er, schon ein wenig lallend, denn die Drinks stiegen uns allmählich zu Kopf. »Heute zahlen Exxon und Jiffy Lube.«
    Gegen elf saßen wir wieder im Wagen und fuhren den Küstenhighway entlang. Mir war ein wenig schlecht von den vielen Hühnerbeinen, Shrimps, Selleriestangen und dem ganzen Tequila. Die anderen redeten durcheinander, ließen irgendwelche Kommentare ab, die fast immer mit »Fuck, man ...«, oder mit »Dig that, dude...« begannen. Mich hatten sie mittlerweile bestimmt als Langweiler abgehakt, was den Vorteil hatte, dass ich keine Fragen mehr gestellt bekam. Es mochte nur bald vorüber sein mit diesem Ausflug. Doch plötzlich bogen wir ab und kurvten in die Hügel hinauf. Pompöse Villen standen links und rechts der Straße. Wenn zutraf, was ich gehört hatte, dass jeder zusätzliche Meter Abstand von der Straße mit hunderttausend Dollar mehr zu Buche schlug, dann näherten wir uns gerade einer Drei-Millionen-Villa. Allein der Fuhrpark, der in der Auffahrt stand, war beeindruckend: Porsches, BMWs, Jaguare, der ein oder andere Corvette, der in dieser Gesellschaft eher geschmacklos aussah.
    »Wohin fahren wir?«, fragte ich Frederic.
    »Zu Mitch.«
    »Aha. Und wer ist Mitch?«
    Frederic nannte eine bekannte Eiscrememarke.
    Ich fasste einen Entschluss. In dieser Villa würde es irgendwo ein Telefon geben. Vermutlich gab es sogar einen Butler oder etwas dieser Art. Auf jeden Fall würde ich bestimmt ein Taxi bestellen können. Von hier war es nicht weit nach Hillcrest. Die Abzweigung, die wir genommen hatten, lag keine zwei Meilen von der Kreuzung entfernt, an der die Straße zum Campus abzweigte. Für zwanzig oder dreißig Dollar käme ich nach Hause.
    Doch als wir die Eingangshalle betraten, war da plötzlich jemand, den ich hier überhaupt nicht vermutet hatte. Wie konnte das sein? Ich streckte den Hals, um besser sehen zu können. Überall standen junge Leute herum, kleine Gruppen, eine Menge gut aussehender Frauen, smarte Typen in schicken Klamotten. Frederic und seine Jungs mit ihren Jeans und Sneakers passten hier nicht so richtig dazu, aber offenbar interessierte das niemanden. Ich fühlte mich vollkommen deplatziert. Aber was tat sie hier? Keine zehn Meter von mir entfernt, hingefläzt auf einem todschicken weißen Ledersofa, im Arm eines dunkelhaarigen, gebräunten jungen Mannes, lag Janine.

Kapitel 12
    Sie trug ein enges, weißes Kleid und nicht viel darunter. Ihre Schuhe lagen vor dem Sofa auf einem
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