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Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Verlust, den der Mensch durch den Gesellschaftsvertrag erleidet, besteht in dem Aufgeben seiner natürlichen Freiheit und des unbeschränkten Rechtes auf alles, was ihn reizt und er erreichen kann. Sein Gewinn äußert sich in der bürgerlichen Freiheit und in dem Eigentumsrecht auf alles, was er besitzt. Um sich bei dem Abwägen der Vorteile beider Stände keinem Irrtum hinzugeben, muß man die natürliche Freiheit, die nur in den Kräften des einzelnen ihre Schranken findet, von der durch den allgemeinen Willen beschränkten, bürgerlichen Freiheit genau unterscheiden und in gleicher Weise den Besitz, der nur die Wirkung der Stärke oder das Recht des ersten Besitzergreifers ist, von dem Eigentum, das nur auf einen sicheren Rechtsanspruch gegründet werden kann.
    Nach dem Gesagten würde man noch zu den Vorteilen des Staatsbürgertums die sittliche Freiheit hinzufügen können, die allein den Menschen erst in Wahrheit zum Herrn über sich selbst macht; denn der Trieb der bloßen Begierde ist Sklaverei, und der Gehorsam gegen das Gesetz, das man sich selber vorgeschrieben hat, ist Freiheit. Aber hierüber habe ich schon allzuviel gesagt, und die philosophische Bedeutung des Wortes Freiheit gehört nicht zu den Aufgaben meiner Arbeit.

9. Kapitel
Vom Gemeingut
    Jedes Glied des Gemeinwesens übergibt sich demselben in dem Augenblicke seines Entstehens, so wie es sich gerade vorfindet, sich und alle seine Kräfte, von denen die Güter, die es besitzt, einen Teil bilden. Dadurch, daß der Besitz hierbei in andere Hände übergeht, ändert er zwar nicht seine Natur und wird nicht Eigentum des Staatsoberhauptes; da jedoch die Kräfte des Gemeinwesens weit größer sind als die jedes einzelnen, so ist der Staatsbesitz in der Tat auch fester und gesicherter, ohne dadurch, wenigstens den Fremden gegenüber, rechtmäßiger zu sein; denn in bezug auf seine Glieder ist der Staat durch den Gesellschaftsvertrag, der im Staate als Grundlage aller Rechte dient, Herr über alle ihre Güter; was aber die übrigen Mächte anlangt, so ist er es ihnen gegenüber nur durch das ihm von den einzelnen übertragene Recht des ersten Besitzergreifers.
    Obgleich das Recht des ersten Besitzergreifers berechtigter ist als das Recht des Stärkeren, so wird es doch erst nach Einführung des Eigentumsrechtes ein wirkliches Recht. Von Natur hat jeder Mensch ein Recht auf alles, was er notwendig braucht; aber gerade der Vertrag, der ihn zum Eigentümer irgendeines Gutes macht, schließt ihn von allem übrigen aus. Nach Festsetzung seines Anteils muß er sich auf ihn beschränken und hat kein Anrecht mehr auf das Gemeingut. Deshalb ist das im Naturzustande so schwache Recht des ersten Besitzergreifers jedem Staatsbürger so achtungswert. Man achtet in diesem Rechte nicht sowohl das Eigentum eines anderen als das, was einem selbst nicht gehört.
    Um das Recht des ersten Besitzergreifers auf irgendein Stück Land zu begründen, bedarf es im allgemeinen folgender Bedingungen: erstens, daß dieses Stück Land noch von niemandem bewohnt werde; zweitens, daß man davon nur soviel in Anspruch nehme, wie man zum Unterhalte nötig hat; drittens endlich, daß man davon nicht durch eine leere Förmlichkeit Besitz ergreife, sondern durch Arbeit und Anbau, das einzige Zeichen des Eigentums, das in Ermangelung gesetzlicher Rechtsansprüche von anderen geachtet werden muß.
    Gibt man dem Rechte des ersten Besitzergreifers nicht in der Tat dadurch die weiteste Ausdehnung, daß man es mit dem Bedürfnis und der Arbeit vereinigt? Kann man dieses Recht nicht einschränken? Soll es schon genügen, den Fuß auf ein gemeinschaftliches Stück Land zu setzen, um sich sofort für den Herrn desselben auszugeben? Soll die Stärke, die anderen Menschen einen Augenblick lang davon zu verjagen, schon genügen, um ihnen das Recht der Rückkehr zu nehmen? Wie kann sich ein Mensch oder ein Volk anders als durch eine widerrechtliche Besitzergreifung eines unermeßlichen Landstriches bemächtigen und es dem ganzen Menschengeschlechte entziehen, da er den übrigen Menschen den Raum und die Nahrungsmittel raubt, die die Natur ihnen gemeinschaftlich gibt? Als Nunnez Balbao im Namen der Krone von Castilien die Südsee und ganz Südamerika vom Ufer aus in Besitz nahm, war dies schon ausreichend, um allen seinen Bewohnern ihr Eigentumsrecht auf das Land zu entreißen und alle Fürsten der Welt davon auszuschließen? Bei solcher Sachlage vervielfältigen sich diese Förmlichkeiten höchst
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