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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry
Autoren: Paul Gallico
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vorsichtig auf einer Stuhlkante nieder, und Mrs. Schreiber sagte: «Mein Mann und ich haben in Maine am Meer für den kleinen Henry und uns selbst ein kleines Landhaus gemietet, wo wir mehrere Monate still verbringen wollen. Mein Mann ist sehr überarbeitet, und wir möchten einmal ganz ausspannen. Wir können unsere Wohnung hier ohne Sorge den Dienstboten überlassen, aber wir haben gedacht, ob Sie und Mrs. Butterfield uns nicht vielleicht nach Forest Harbor begleiten würden. Nichts würde uns glücklicher machen.»
    Die beiden Frauen tauschten von neuem einen Blick, und dann sagte Mr. Schreiber: «Ihrer Besuchsvisa wegen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich habe Freunde in Washington, die sie Ihnen um sechs Monate verlängern könnten. Ich hatte das sowieso vor.»
    «Und wenn wir im Herbst wieder zurückkommen», fiel Mrs. Schreiber ein, «dann werden Sie, hoffen wir sehr, weiter bei uns bleiben. Und vielleicht könnten wir Sie sogar dazu überreden, für immer bei uns zu bleiben. Der kleine Henry liebt Sie beide, und wir tun es auch, ich meine, wir haben Ihnen gegenüber eine Dankesschuld, die wir nie bezahlen können. Ohne Sie wäre der Junge nie unser Sohn geworden. Und er bedeutet uns schon heute mehr, als mein Mann und ich zu sagen vermögen. Darum möchten wir auch, daß Sie uns nie wieder verlassen. Sie werden nicht schwer arbeiten müssen, und Sie werden hier immer ein Zuhause haben. Werden Sie bleiben? Werden Sie mit uns auf die Reise gehen?»
    In dem Schweigen, das dieser Bitte folgte, wechselten die beiden Londonerinnen zum drittenmal einen Blick, und Mrs. Butterfields Doppelkinn begann zu zittern. Aber Mrs. Harris als Sprecher und Kapitän der Mannschaft hatte sich mehr in der Gewalt, obwohl auch sie sichtlich von dem Angebot gerührt war. «Gott segne Sie für Ihre Güte», sagte sie. «Violet und ich haben seit Tagen von nichts anderem gesprochen. Es tut uns sehr leid, aber wir können es nicht.»
    Mr. Schreiber machte ein ehrlich verdutztes Gesicht. «Seit Tagen darüber gesprochen?» sagte er. «Sie haben es doch erst eben von uns erfahren. Wir wußten es bis vor kurzem selber noch nicht...»
    «Wir haben es kommen sehen», erwiderte Mrs. Harris. Und Mrs. Butterfield, deren Doppelkinn jetzt bebte, wischte sich mit einem Zipfel ihrer Schürze die Augen und sagte: «Solche lieben guten Menschen!»
    «Wollen Sie sagen, daß Sie schon von dem Hause wußten, das wir auf dem Lande gemietet haben und in das wir Sie und Mrs. Butterfield mitnehmen wollten?» fragte Mrs. Schreiber erstaunt.
    Ohne jede Verlegenheit antwortete Mrs. Harris: «Man hört so manches im Haus. Kleine Leute haben große Ohren. Wovon reden die Dienstboten außer von dem, was im Hause vorgeht!»
    «Und Sie wollen also nicht bleiben?» sagte Mrs. Schreiber leicht bekümmert.
    «Es gibt nichts», antwortete Mrs. Harris, «was wir nicht tun würden, um Ihnen Ihre Güte zu vergelten, und daß Sie dem kleinen Henry eine Heimat und eine Chance gegeben haben. Aber wir haben es uns wirklich genau überlegt — dies können wir nicht, wir können es einfach nicht.»
    Mr. Schreiber, der seiner Frau Enttäuschung bemerkte, sagte: «Aber warum denn nicht? Mögen Sie Amerika nicht?»
    «O doch», erwiderte Mrs. Harris leidenschaftlich. «Das ist es nicht. Es ist wundervoll. So etwas gibt es in der ganzen Welt nicht noch einmal. Stimmts nicht, Violet?»
    Mrs. Butterfield war so aufgeregt, daß sie nur nicken konnte.
    «Nun, was ist es dann?» drang Mr. Schreiber weiter in sie. «Wenn Sie mehr Geld haben möchten, könnten wir...»
    «Geld!» rief Mrs. Harris entsetzt. «Wir haben schon zu viel bekommen. Wir möchten keinen Penny mehr von Ihnen haben. Es ist nur... wir haben Heimweh.»
    «Heimweh», echote Mr. Schreiber, «wo es Ihnen hier so gut geht. Hier gibt es doch alles.»
    «Das ist es eben», sagte Mrs. Harris. «Wir haben hier zu viel von allem. Wir haben Heimweh nach weniger. Unsere Zeit ist um. Wir möchten nach London zurück.» Und plötzlich rief sie, und es klang wie ein Schrei aus tiefster Seele, der Mrs. Schreiber rührte und sogar ihrem Mann nahe ging: «Bitte, bitten Sie uns nicht mehr zu bleiben, und fragen Sie uns nicht, warum wir fort wollen.»
    Denn wie hätte sie den Schreibers erklären können, auch wenn sie London kannten und selbst dort gelebt und es geliebt hatten, daß sie sich nach dem stilleren, sanfteren Tempo der großen, grauen, sich weit ausdehnenden Stadt sehnte, wo sie geboren und aufgewachsen war?
    Die
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