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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry
Autoren: Paul Gallico
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ganz zufällig, was es war. Wissen Sie, was?»
    «Nein», erwiderte Mr. Bayswater.
    «Eine ihrer Haarnadeln war herausgefallen und hinter den Sitz gerutscht. Aber bei Ihnen kann das nicht sein. Der Marquis braucht ja keine Haarnadeln.»
    Mr. Bayswater stieß einen saftigen Fluch aus: «Verdammt noch mal!» Und er machte ein Gesicht wie ein zum Tode Verurteilter, der hört, daß der Gouverneur ihn begnadigt hat. «Ich glaube, Sie haben mich auf die richtige Fährte gebracht», sagte er dann. «Der Marquis hat zwar keine Haarnadeln, aber in der vorigen Woche habe ich Madame Mogahdjib, die Frau des syrischen Botschafters, nach Hause gefahren. Ihre Frisur war mit großen Haarnadeln festgesteckt. Ada, mein Mädchen, hier ist der Kuß, den Sie auf dem Schiff nicht bekommen haben.»
    Und er beugte sich hinunter und küßte sie auf die Braue. Dann sprang er auf und sagte: «Ich muß das gleich herausbekommen. Ich komme dann später noch einmal wieder», und er stürzte hinaus.
    Als sie wieder allein war, dachte Mrs. Harris über die Vollkommenheit nach, nach der die Menschen zu streben schienen, wie es Mr. Bayswaters Kummer über etwas bewies, das die Vollkommenheit des erlesensten Wagens in der Welt zunichte gemacht hatte, und sie dachte, daß nur jenes höhere Wesen vollkommen sei, das manchmal gütig zu den Menschen war, manchmal aber auch nicht und zu anderen Zeiten sogar ein wenig eifersüchtig.
    Hatte sie zuviel verlangt? , antwortete eine Stimme in ihrem Inneren heftig, Sie hatte nicht nur die gute Fee zu spielen versucht, sondern geradezu Gott, und die Strafe war der Sünde auf dem Fuß gefolgt. Und dann kehrten ihre Gedanken wieder zu ihrem Diorkleid zurück, das so prächtig und so vollkommen gewesen war, und die verbrannte Stelle in der Samtbahn, die sie daran erinnerte, daß, obwohl das Kleid selber verdorben worden war, sie durch das Abenteuer etwas viel Besseres erlangt hatte, nämlich Freundschaften fürs Leben.
    Und von da war es nur noch ein Schritt zu dem Trost, daß ihr der Versuch, den kleinen Henry wieder mit seinem Vater zu vereinen, zwar so gar nicht geglückt, aber dennoch nicht ein völliger Fehlschlag war. Nichts im Leben war je ein vollkommener und hundertprozentiger Erfolg. Aber oft konnte man sich auch mit weniger zufriedengeben, und dies war die größte Lehre, die einem das Leben erteilen konnte. Der kleine Henry war den Gussets entrissen, er hatte Adoptiveltern gefunden, die ihn liebten und ihm helfen würden, ein guter und tüchtiger Mann zu werden; und sie selber hatte ein neues Land und ein neues Volk kennen und lieben gelernt. Und da noch zu murren, war schnödester Undank. Die Schreibers waren glücklich, der kleine Henry war es ebenso, wie sollte sie da selber unglücklich sein, weil ihr lächerlicher, hoffärtiger kleiner Traum zuschanden geworden war?
    , sagte sie zu sich, Und sie rief laut: «Violet!»
    Mrs. Butterfield kam wie ein Nilpferd glückselig hereingewatschelt. «Hast du mich gerufen, Liebe? Gott sei Dank, du siehst ja wieder wie Ada Harris aus!»
    «Wie wärs, wenn du mir eine Tasse Tee machtest, Liebe», sagte Mrs. Harris. «Ich stehe auf.»

22

    Dem Zauber des New Yorker Frühsommers mit Mädchen in leichten Sommerkleidern, den Parks voller Blumen und dem klaren, sonnigen Himmel war die erstickende feuchte Julihitze gefolgt. Der Haushalt der Schreibers lief wie am Schnürchen, dank der von Mrs. Harris angelernten und beaufsichtigten Dienstboten. Die letzten Formalitäten der Adoption waren erledigt, der Junge hatte jetzt sein eigenes Zimmer im vorderen Teil der Wohnung, und langsam rückten zwei Ereignisse näher, auf die man sich vorbereiten mußte.
    Das eine war das Nahen der Ferien, des alljährlichen Auszuges aus der heißen Stadt ins Gebirge oder ans Meer, wo es kühler war, und das andere, daß am 17. Juli die Besuchervisa der Damen Butterfield und Harris abliefen.
    Mr. und Mrs. Schreiber führten mehrere Gespräche darüber, und dann wurden Mrs. Butterfield und Mrs. Harris in Mr. Schreibers Arbeitszimmer gerufen, wo sie von dem Ehepaar mit geheimnisvollen Mienen empfangen wurden.
    «Liebe Mrs. Harris und liebe Mrs. Butterfield, bleiben Sie bitte nicht stehen, sondern setzen Sie sich», sagte Mrs. Schreiber. «Mein Mann und ich haben etwas mit Ihnen zu besprechen.»
    Die beiden Engländerinnen tauschten einen Blick, und dann ließen sie sich jede
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