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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry
Autoren: Paul Gallico
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Gespenst mit den eingefallenen Apfelbäckchen und den geschlossenen Augen hinunterblickte, waren all seine Gedanken an den «kranken» Rolls-Royce wie weggeblasen, und zum erstenmal seit vielen Jahren spürte er einen seltsamen Stich im Herzen. Er setzte sich an ihr Bett, nahm die eine ihrer Hände in seine, wobei er ganz vergaß, daß die Schreibers und Mrs. Butterfield ihn beobachteten, und sagte mit vor Erregung heiserer Stimme: «Aber, aber, Ada, das kann doch nicht sein. Was ist denn?» Etwas in seiner Stimme durchdrang den Nebel. Vielleicht war es der englische Akzent, der den Schlüssel in dem Schloß drehte und die Tür für Mrs. Harris öffnete. Sie wandte den Kopf, sah Mr. Bayswater groß an, bemerkte das lockige graue Haar, die Patriziernase und die dünnen Lippen und sagte mit schwacher Stimme: «Hallo, John. Was führt Sie her?»
    «Eine geschäftliche Angelegenheit», erwiderte Mr. Bayswater. «Sie haben mir gesagt, ich sollte Sie anrufen, wenn ich einmal herkäme. Und das habe ich getan, und da hörte ich, Sie seien nicht ganz wohl. Was ist denn?»
    Jetzt machten sich auch die anderen alle bemerkbar. Mrs. Butterfield jammerte: «Ach, Gott sei Dank, Ada, daß es dir wieder besser geht.» Mrs. Schreiber rief: «Ach, Mrs. Harris, wie wunderbar! Es geht Ihnen wieder besser, nicht wahr? Wir haben uns ja solche Sorgen gemacht.» Und Mr. Schreiber schrie: «Mrs. Harris, Mrs. Harris, hören Sie mal zu. Es ist alles in Ordnung. Wir haben eine herrliche Neuigkeit für Sie!»
    Mr. Bayswaters Gesicht und Stimme hatten ihren Lebensmotor wieder in Gang gebracht, weil sie ihr die so wundervolle Fahrt mit ihm von Washington nach New York und die noch köstlichere Einkehr in ein berühmtes Restaurant an der Autobahn — wo sie eine äußerst schmackhafte Suppe aus Lauch, Muscheln, Kartoffeln und Sahne gegessen hatte — ins Gedächtnis zurückriefen. Es wäre für sie besser gewesen, wenn sie noch etwas länger hätte bei diesen Erinnerungen verweilen können, aber ach, die Rufe der anderen brachen bald den Zauber und machten ihr die Katastrophe wieder bewußt, die sie heraufbeschworen hatte. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schrie: «Nein, nein. Gehen Siel Ich kann niemanden in die Augen sehen. Ich bin eine dumme alte Frau, die ihre Nase überall hineinsteckt und die alles verdirbt, was sie anfaßt. Bitte, gehen Sie!»
    Doch Mr. Schreiber ließ sich nicht abweisen; er trat näher an das Bett heran und sagte: «Aber Sie verstehen nicht, Mrs. Harris — etwas Wunderbares ist geschehen, seit Sie die Besinnung... ich meine, seit Sie nicht wohl sind. Etwas ganz Großartiges. Wir adoptieren den kleinen Henry. Er gehört uns. Wenn es Ihnen recht ist, wird er bei uns bleiben. Sie wissen, wir lieben ihn, und er liebt uns. Er wird es gut bei uns haben, und es wird etwas aus ihm werden.»
    Mrs. Harris war noch zu krank, um ganz zu begreifen, was Mr. Schreiber sagte. Da es jedoch etwas mit dem kleinen Henry zu tun zu haben schien und seine Stimme so glücklich und heiter klang, nahm sie die Hände vom Gesicht und blickte um sich wie ein scheuer kleiner Affe.
    «Es war Henriettas Idee», erklärte Mr. Schreiber, «und gleich am nächsten Tage habe ich noch einmal mit Kentucky gesprochen. Wenn man ihn näher kennenlernt, ist er gar nicht so übel. Er mag nur keine Kinder. Er bildet sich ein, seine Bewunderer würden von ihm abfallen, wenn herauskäme, daß er sich im Ausland verheiratet hat, geschieden worden ist und ein Kind hat, das ein halber Engländer ist. Und so habe ich ihm gesagt, wenn er nichts dagegen hätte, würden wir, Henrietta und ich, den Jungen gern adoptieren und ihn wie unseren eigenen Sohn aufziehen.»
    «, hat er zu mir gesagt», flüsterte Mrs. Harris. «Der eigene Vater!»
    «Aber Sie verstehen nicht», sagte Mr. Schreiber noch einmal. «Er macht keinerlei Schwierigkeiten. Die Sache regelt sich zu aller Zufriedenheit. Weil der Junge amerikanischer Bürger ist, hat er das Recht, hier zu sein. Kentucky ist sein leiblicher Vater, wie die Luftwaffenakte beweist. Wir haben nach England geschrieben, um eine Geburtsurkunde für den kleinen Burschen zu bekommen. Die für die Adoption notwendigen Papiere werden ausgestellt, und sobald sie fertig sind, wird Claiborne sie unterzeichnen.»
    Jetzt endlich hatte Mrs. Harris begriffen, denn sie blickte Mr. Schreiber etwas heiterer an und sagte: «Sind Sie
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