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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen
Autoren: Hagena
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unheilbar sei, der sei auch unverwundbar.

    Inga war damals durch reinen Zufall an dem Praxisschild von Friedrich Quast vorbeigelaufen. Sie rief ihre Schwester an. Ein paar Tage später kam Harriet mit dem Zug nach Bremen. Sie setzte sich ins volle Wartezimmer. Weil sie weder Termin noch Karte hatte, musste sie warten, bis keiner mehr da war. Sie blieb ruhig sitzen. Sie wartete auf nichts. Und erwartete nichts. Herr Dr. Quast winkte sie schließlich persönlich ins Sprechzimmer.
    Er musste eine mittelalte Frau mit etwas struppigen hennaroten Haaren gesehen haben. Ein ungeschminktes, rundes, flaches Gesicht. Falten um die Augen und zwei tiefe Kerben neben der Nase. Er hat ihre Kleider gesehen, die sie gern in den Farben von Safran, Zimt, Curry und anderen Gewürzen trug. Dazu die Turnschuhe. Und er wird sie sofort eingeordnet haben, vielleicht unter: esoterisch angehauchter Alt-Hippie, frustriert, wahrscheinlich geschieden.
    Ohne Neugier erkundigte er sich danach, was sie zu ihm führe.
    Sie sagte, ihr Herz tue ihr weh. Tag und Nacht.
    Er nickte und hob die Brauen, um sie zum Weitersprechen aufzufordern.
    Harriet lächelte ihn an.
    - Ich hatte eine Tochter. Sie ist tot. Haben Sie eine Tochter? Einen Sohn?
    Friedrich Quast schaute sie an. Er schüttelte den Kopf. Harriet sprach ruhig weiter, aber ließ ihn nicht aus den Augen:
    - Ich hatte eine Tochter. Sie hatte rote Haare wie Sie und sommersprossige Hände wie Sie.
    Friedrich Quast legte seine Hände auf den Tisch. Sie hatten die ganze Zeit in den Taschen seines Kittels gesteckt.
    Er sagte nichts, aber sein rechtes Augenlid begann ganz leicht zu zucken, als er Harriet unverwandt anschaute.
    - Wie alt?
    Er räusperte sich.
    - Entschuldigung. Wie alt war Ihre Tochter?
    - Fünfzehn. Bald sechzehn. Kein Kind, keine Frau. Heute wäre sie gerade einundzwanzig.
    Friedrich Quast schluckte. Nickte.
    Harriet lächelte wieder.
    - Ich war jung und liebte einen Studenten mit roten Haaren. Er tut mir so leid, er hatte nie eine Tochter. Sie wollte auch nie wissen, wo er ist, obwohl ich sie darin unterstützt hätte, das herauszufinden. Manchmal ist so was ja gar nicht schwer. Aber wissen Sie, es bricht mir das Herz, denn er wird diese Tochter nie haben. Und es bräche auch das seine, wenn er es wüsste.
    Harriet stand auf, Tränen liefen ihr über die Wangen. Friedrich Quast war weiß. Er sah sie nur an, sein Atem ging stoßweise. Harriet schien ihre Tränen gar nicht zu bemerken, sie sagte beim Gehen:
    - Es tut mir leid, Herr Dr. Quast, ich weiß, Sie können mir nicht helfen. Sie mir nicht, aber wissen Sie, was? Ich Ihnen auch nicht.
    Harriet ging zur Tür.
    - Nein. Nicht. Nicht gehen. Wie hieß sie? Wie hieß sie!
    Harriet schaute ihn an. Ihre roten Augen waren ausdruckslos. Niemals würde sie ihm Rosmaries Namen geben. Nicht ein Stück sollte er von ihr bekommen.
    Sie sagte:
    - Ich muss los.
    Harriet machte die Tür auf und schloss sie leise hinter sich. Die Sprechstundenhilfe warf ihr einen misstrauischen Blick zu, als Harriet mit geraden Schultern und zerstreutem Nicken an ihr vorbeischritt.

    Als Inga Wochen später das nächste Mal durch die Straße kam, schaute sie nach dem Praxisschild, aber es hing nicht mehr da. Ein anderer Arzt hatte sich hier niedergelassen. Inga ging hinein und fragte am Tresen nach Dr. Quast. Er praktiziere nicht mehr hier, hieß es. Nirgends mehr in dieser Stadt.

    Inga blieb in Bremen. Sie hatte immer mal Liebhaber, alle sehr gutaussehend, meistens ein Stück jünger als sie, aber nichts Ernstes. Menschen hielt sie auf Armeslänge, aber Augenblicke hielt sie fest. Ihre Fotos verkauften sich gut. Für die Fotostrecke mit den Bildern ihrer Mutter hatte sie dieses Jahr den German Portrait Award 1997 bekommen. Inzwischen ließ sie die Elektrostatik für sich arbeiten. Auf Berthas Beerdigung erzählte sie mir, wie sie Filme durch Temperaturwechsel auflade und verblitzen lasse. Aus diesen Fehlern entstünden ganz neue Möglichkeiten und Ansichten.

    Mittlerweile hatte ich zwei Wäschekörbe und eine Plastikwanne mit Äpfeln gefüllt. Ich brachte sie ins Haus und stellte sie in der Küche ab. Sollten sie im Keller oder auf der Diele lagern? Wo war es kühler und trockener? Ich ließ sie erst einmal auf dem Küchenboden stehen.
    Ich stützte mich auf den Apfelkorb und schaute auf die schwarz-weißen viereckigen Steinchen. Vielleicht gelang es mir ja heute. Gerade als sich die ersten Zeichen abzuheben schienen, hörte ich Schritte hinter mir. Max kam indie
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