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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen
Autoren: Hagena
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den Frühstückstisch. Ich wollte sie nicht demütigen. Als das Dröhnen des anfahrenden
     Busses an den Fensterscheiben rüttelte, blickte ich auf und erhaschte noch einen
     Blick auf Tante Harriet, die starr auf die Rückenlehne des Sitzes vor ihr blickte.

    Ich ging wieder zu Fuß zum Haus. Die Tasche war nicht
     schwer, der schwarze Samtrock war drin, ich trug ein kurzes schwarzes Kleid ohne
     Ärmel und schwarze Sandalen mit dicken Keilabsätzen, auf denen man lange aufasphaltierten Bürgersteigen gehen oder Bücher aus Regalen
     heranschleppen konnte, ohne dabei umzuknicken. Es war nicht viel los an diesem
     Samstagmorgen. Vor dem Edeka-Laden saßen ein paar Jugendliche auf ihren Mopeds und
     aßen Eis. Die Mädchen schüttelten fortwährend ihre frischgewaschenen Haare. Es sah
     unheimlich aus, so als wären die Hälse zu schwach, um die Köpfe zu tragen, und ich
     fürchtete, dass die Köpfe plötzlich nach hinten oder zur Seite wegklappen könnten.
     Ich musste gestarrt haben, denn sie wurden alle still und schauten zurück. Obwohl es
     mir unangenehm war, so verspürte ich doch Erleichterung darüber, dass die Köpfe der
     Mädchen aufhörten zu wackeln, oben auf den Hälsen blieben und nicht etwa in
     komischen Winkeln auf ihren Schultern oder Brustbeinen zum Stillstand kamen.
    Die Hauptstraße machte eine scharfe Linkskurve, geradeaus
     führte eine Schotterstraße noch an der BP-Tankstelle und zwei Häusern vorbei auf die
     Weiden. Nachher wollte ich mir eines der Fahrräder aufpumpen und diese Straße bis
     zur Schleuse fahren. Oder an den See. Warm würde es heute werden, hatte Tante Inga
     gesagt.
    Ich ging auf der rechten Seite der Straße. Links konnte
     man jetzt schon die große Mühle hinter den Pappeln sehen, sie war frisch gestrichen,
     und es tat mir leid, wie unwürdig bunt sie aussah, schließlich käme doch auch
     niemand auf die Idee, die Kränzchenschwestern meiner Großmutter in Glitzerleggings
     zu zwängen. Berthas Hof, der jetzt mein Haus sein sollte, lag schräg gegenüber der
     Mühle. Ich stand vor der Einfahrt, das verzinkte Tor war abgeschlossen und
     niedriger, als ich es in Erinnerung hatte, gerade hüfthoch, und so stieg ich rasch
     mit gescherten Beinen darüber.

    Im Morgenlicht war das Haus ein dunkler, schäbiger Kasten mit einer
     breiten, hässlich zugepflasterten Einfahrt. Die Linden standen im Schatten. Auf dem
     Weg zur Treppe sah ich, dass der ganze Vorgarten mit Vergissmeinnicht zugewuchert
     war. Die blauen Blüten waren gerade im Welken begriffen, manche blichen aus, andere
     wurden braun. Ein Dickicht verblühter Vergissmeinnicht. Ich beugte mich hinunter und
     riss eine Blüte ab, sie war gar nicht blau, sie war grau und violett und weiß und
     rosa und schwarz. Wer hatte sich eigentlich um den Garten gekümmert, als Bertha im
     Heim war? Wer ums Haus? Das wollte ich Miras Bruder fragen.
    Beim Eintreten schlug mir wieder der Geruch von Äpfeln und
     kühlen Steinen entgegen. Ich stellte meine Tasche auf die Truhe und lief den ganzen
     Flur ab. Gestern waren wir ja nur bis ins Arbeitszimmer gekommen. Ich schaute nicht
     in die Zimmer, sondern öffnete erst die Tür am Ende des Flurs. Rechts führte die
     steile Treppe in die oberen Zimmer, geradeaus ging es zwei Stufen hinunter, dann
     rechts zum Bad, durch dessen Decke mein Großvater eines Abends geflogen kam, als
     meine Mutter mich gerade wusch. Er wollte für uns ein wenig spuken und war dafür auf
     den Dielenboden gestiegen. Die Bretter mussten morsch gewesen sein, und mein
     Großvater war ein großer, schwerer Mann. Er brach sich den Arm, und wir durften
     niemandem erzählen, wie es passiert war.
    Die Tür zur Diele war abgeschlossen. Der Schlüssel hing an
     der Wand daneben, und an ihm war ein kleiner Holzklotz befestigt. Ich ließ ihn
     hängen. Dann stieg ich die Treppe hinauf in die Zimmer, wo wir früher geschlafen und
     gespielt hatten. Die dritte Treppenstufe von unten knarrte noch lauter als früher,
     aber vielleicht war das Haus nur stiller geworden. Und wie war es oben mit denbeiden letzten? Ja, die knarrten auch immer noch, es war sogar
     noch die drittletzte hinzugekommen. Das Geländer wimmerte, sobald ich es berührte.
    Oben war die Luft dick und alt und warm wie die
     Wolldecken, die dort in den Truhen lagen. Ich öffnete die Fenster im großen Raum,
     dann alle vier Zimmertüren, die beiden Türen des Durchgangszimmers, welches meiner
     Mutter gehört hatte, und die zwölf Fenster der
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