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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen
Autoren: Hagena
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Zweifel, er war der kleine Bruder von Mira Ohmstedt, unserer besten Freundin.
     Rosmaries und meiner besten Freundin.

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    II. Kapitel
    Meine Eltern, meine Tanten und ich übernachteten in den
     drei Fremdenzimmern des Dorfkrugs.
    - Wir fahren wieder hinunter ins Badische, sagte meine
     Mutter am nächsten Morgen. Sie sagte es ein ums andere Mal, als müsse sie sich
     selbst davon überzeugen. Ihre Schwestern seufzten, es hörte sich an, als sagte sie,
     sie fahre jetzt hinunter ins Glück. Und vielleicht war es auch so. Tante Inga ließ
     sich bis nach Bremen mitnehmen, ich umarmte sie kurz und bekam einen elektrischen
     Schlag.
    - Schon so früh am Morgen? fragte ich erstaunt.
    - Es wird heiß heute, sagte Inga entschuldigend. Sie
     kreuzte die Arme vor ihrem Körper, und ihre Hände strichen mit einer langen, raschen
     Bewegung von den Schultern hinunter bis über die Handgelenke, sie spreizte die
     Finger und schüttelte sie. Es knisterte leise, als die Funken aus ihren
     Fingerspitzen fielen. Rosmarie hatte Tante Ingas Funkenschlag geliebt.
    - Lass es doch noch einmal Sterne regnen, bat sie immer
     wieder, vor allem wenn wir bei Dunkelheit im Garten standen. Dann sahen wir
     ehrfürchtig zu, wie für den Bruchteil einer Sekunde winzige Punkte an Tante Ingas
     Händen aufleuchteten.
    - Tut das weh? fragten wir, sie schüttelte den Kopf. Aber
     ich glaubte ihr nicht, sie zuckte zusammen, wenn sie sich an ein Auto lehnte, eine
     Schranktür aufmachte, das Licht oder den Fernseher anknipste. Es kam vor, dass sie
     Sachen fallen ließ. Manchmal kam ich in die Küche,und Tante Inga
     saß in der Hocke, um mit dem Handfeger Scherben aufzukehren. Wenn ich sie fragte,
     was passiert sei, sagte sie:
    - Ach, nur ein dummer Unfall, ich bin so ungeschickt.
    Wenn sie es nicht vermeiden konnte, Leuten die Hand zu
     reichen, entschuldigte sie sich, da diese oftmals erschreckt aufschrien.
     »Funkenfinga« nannte Rosmarie sie, aber allen war klar, dass sie Tante Inga
     bewunderte.
    - Warum kannst du das nicht, Mama? fragte sie Tante
     Harriet einmal. Und warum ich nicht?
    Tante Harriet schaute sie an und erwiderte, dass Inga ihre
     innere Spannung nicht anders nach außen geben könne und dass Rosmarie sich pausenlos
     verausgabe, sodass es zu diesen Entladungen nie kommen könne, und dass Rosmarie
     dafür dankbar sein solle. Tante Harriet hatte schon immer ein spirituelles Wesen.
     Sie war schon so einige Wege in ihre eigene Mitte und wieder zurück geschlendert,
     bevor sie Mohani wurde und diese Holzkette trug. Als ihre Tochter starb, so erklärte
     es sich meine Mutter, habe sie sich einen Vater gesucht und sei selbst wieder
     Tochter geworden. Da habe sie etwas Festes gewollt. Etwas, das sie vom Fallen
     abhielt und ihr gleichzeitig beim Vergessen half. Ich hatte mich nie mit dieser
     Erklärung zufriedengegeben, Tante Harriet liebte Drama, nicht das Melodram. Sie war
     vielleicht verrückt, aber niemals vulgär. Wahrscheinlich fühlte sie sich mit dem
     toten Osho verbunden. Sie musste es als beruhigend empfinden, dass ein Toter so
     lebendig sein konnte, denn von dem lebendigen Bhagwan hatte sie sich nie sehr
     beeindruckt gezeigt, und sie lachte über die Bilder, die ihn vor seinen vielen
     großen Autos zeigten.

    Nachdem meine Mutter, mein Vater und Tante Inga fort waren, tranken
     Tante Harriet und ich Pfefferminztee in der Gaststube. Unser Schweigen war wehmütig
     und entspannt.
    - Gehst du jetzt ins Haus? fragte Tante Harriet
     schließlich. Sie stand auf und griff nach ihrer ledernen Reisetasche, die neben
     unserm Tisch stand. Ich blickte dem lächelnden Osho im Holzrahmen ihrer Kette in die
     Augen und nickte. Er nickte zurück. Ich stand ebenfalls auf. Sie drückte mich so
     fest, dass es wehtat, ich sagte nichts und schaute über ihre Schulter in die leere
     Gaststube. Der Dunst von Kaffee und Schweiß, der gestern die Trauergäste warm
     umhüllt hatte, hing immer noch unter der niedrigen weißen Decke. Tante Harriet
     küsste meine Stirn und ging hinaus. Ihre Reeboks quietschten auf den gebohnerten
     Dielen.
    Auf der Straße drehte sie sich um und winkte. Ich hob die
     Hand. Sie stellte sich an die Bushaltestelle und wandte mir den Rücken zu. Ihre
     Schultern hingen ein wenig nach vorne, und das kurze rote Haar in ihrem Nacken
     rutschte in den Kragen der schwarzen Bluse. Ich erschrak. Erst von hinten konnte ich
     sehen, wie unglücklich sie war. Hastig drehte ich mich weg und setzte mich zurück an
    
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