Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
Vom Netzwerk:
Sie?«
    »Ich höre, Geierkralle.«
    »Ein Spähtrupp der Einundfünfziger hat Verstärkung im Anmarsch auf Ihr Objekt beobachtet. Marokkaner.«
    »Wo stehen sie?«
    »Fünf Kilometer entfernt. Sie können in einer Stunde an Ihrem Objekt sein. Und was das heißt, wissen Sie ja.«
    »Ich höre, Comandante.«
    »Wir beginnen in zehn Minuten mit dem Feuerschlag. Sie greifen im Schutz des Feuers an.«
    »Comandante! Das ist Selbstmord. Wir können nicht am hellen Tag über die freie Pläne angreifen, selbst nicht im Feuerschutz Ihrer Geschütze.«
    »Uhrenvergleich«, sagte der Major, und seine Stimme klang nicht einmal resigniert. »Es ist achtzehn Uhr fünfzehn.«
    »Achtzehn Uhr fünfzehn«, wiederholte Brenski mechanisch. Er spürte die Blicke der anderen auf sich.
    »Sie halten das Objekt, bis Sie Verstärkung bekommen. Noch in der Nacht müßten die Einundfünfziger dort sein.«
    »Sie werden mit den Marokkanern zusammenstoßen.«
    »Um so besser.«
    Brenski schluckte. »Wie stark ist die marokkanische Gruppe?«
    »Es ist eine Kompanie. Sie werden schon damit fertig«, sagte Vegas mit flachforscher Stimme.
    »Sí, Camarada Comandante.«
    »Sie melden mir in einer Stunde Vollzug der Eroberung des Objekts.«
    »Sí, Camarada Comandante.«
    »Ende.«
    »Ende.«
    Brenski nahm die Kopfhörer ab, schob sie mit dem Mikrofon Francés hin.
    »Fertigmachen zum Angriff!« befahl er.
    Sie starrten ihn an, als sei er verrückt geworden.
    »Seitengewehr … pflanzt auauauf …«
    Sie gehorchten mechanisch.
    Neunundzwanzig Männer, die gegen ein Kloster anrennen sollten, das wie eine Festung vor ihnen lag und, nach der Feindaufklärung, von einer fast zweihundert Mann starken Kompanie der Nationalisten besetzt war. An die Kompanie Marokkaner, die Elitetruppen Francos, durfte man dabei gar nicht denken.
    Welch ein Wahnsinn.
    Brenski schaute auf seine Armbanduhr.
    Noch fünf Minuten bis zum Feuerschlag.
    Hoffentlich schossen sie das ganze Kloster in Klump. Dann brauchten sie nicht über die freie Pläne anzugreifen.
    Hoffentlich hatten die Francisten dort Munition deponiert, damit das ganze Ding in die Luft flog.
    Nur nicht den Hügel hinauf, durch das Gras, am hellen Tag.
    Und er dachte an das chinesische Gedicht vom müden Soldaten. Ich möchte unter Apfelbäumen liegen und kein Soldat mehr sein.
    »Fertig?«
    Das zustimmende Murmeln floß über ihn hinweg. Mit seinen Gedanken war er zu Hause, in der märkischen Heide, und er wünschte sehr, daß er dort geblieben wäre.
    Die Sonne schien in jenen Jahren so blank wie heute. In der Erinnerung war das Leben als Kind ein einziger Sommer gewesen, oder ein Winter, voller Schnee, wenn das Eis auf den Seen knackte.
    Aber der Sommer, das war seine Zeit gewesen, und niemand hinderte ihn daran, den ganzen Tag nach der Schule im Kiefernwald herumzustrolchen, im See zu schwimmen, Beeren zu sammeln oder von dem alten Bootssteg aus nach Plättlingen zu fischen, die es in Schwärmen im See gab. Manchmal konnte man ein Segelboot feiner Leute aus Berlin sehen, aber nur in der Ferne, denn am Südufer des Sees, wo Röblin lag, war das Wasser zu seicht, voll mit Schilf und Seerosengeflecht, aber auch voll mit Leben, mit Enten und Reihern und Wildgänsen, mit Fröschen und Kröten und Bibern. Sogar Rehe kamen oft aus dem Wald, und Paul lag auf dem Bauch auf dem Steg, die Rute mit der Leine vor sich in ein Astloch im Holz gesteckt. Er rührte sich nicht, und die Rehe tranken und schauten zu ihm herüber mit ihren weichen, dunklen Augen, und er schaute nur und spürte den Ruck an der Angel, aber er wagte es nicht, die Schnur einzuholen, um die Rehe nicht zu verscheuchen.
    »Na, warst du wieder draußen?« fragte sein Vater am Abendbrottisch. Es gab Bratkartoffeln mit Roten Beten, als Salat angemacht, und Milch dazu. Der Vater trank aus dem hohen, grauen Krug das Bier, das Paul ihm aus dem Gasthof ›Zum goldenen Hirsch‹ geholt hatte, ein Liter für zehn Pfennig. Hoch stand der Schaum auf dem Krug, und auf dem Nachhauseweg genehmigte sich Paul natürlich selbst einen tüchtigen Schluck davon. Er rührte mit dem Finger das Bier um, damit der Schaum wieder hochstieg, und der Vater merkte es nicht. Oder er tat so, als ob er es nicht merke. Denn einem einzigen Sohn läßt man vieles durchgehen.
    »Ja, Vater, ich war draußen am See. Ich habe vier Plättlinge gefangen.«
    »Die mach ich morgen, Gustav«, sagte Anna, Pauls Mutter, wie um Entschuldigung bittend.
    »Hast du sie kaltgelegt?«
    »Unten, in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher