Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
Vom Netzwerk:
konnte die Granaten sehen, wie sie sich in den Himmel hoben und dann wie hochgeschleuderte Steine zu Boden fielen. Gegen diese Granaten gab es keine Deckung, denn sie sausten direkt von oben herunter.
    Die Granaten schlugen bei dem Felsen ein. Hoffentlich treffen sie nicht, dachte Maria Christina. Sie ging an den Soldaten vorbei, Bauernjungen, die von Franco in die Uniform gesteckt worden waren. Sie betrat die steinernen Stufen, die zu der Balustrade hochführten, von wo aus man durch Scharten in der Mauer das umliegende Land überblicken konnte. Dort stand jetzt der Colonel mit einem Scherenfernrohr und schaute aufmerksam in Richtung auf den Felsen.
    Schließlich wandte er sich kopfschüttelnd ab. »Dummes Gerede«, sagte er, wie zu sich selbst. »Da hat wieder jemand Gespenster gesehen. Wenn sie kommen, kommen sie von Westen, im Schutz der Abhänge und des Waldes. Nur ein Verrückter würde über die tausend Meter breite Pläne eine befestigte Stellung angreifen.« Er schaute Maria Christina wie fragend an. Sie neigte nur den Kopf.
    »Haben Sie schon mal einen Verwundeten oder einen Verletzten behandelt?« fragte der Colonel.
    »Sí, Comandante.«
    »Und wo?«
    »In der Stierkampfarena von Córdoba.«
    Die Augen des Obersten weiteten sich. »Sie – Sie sind doch eine Nonne?«
    »Das war ich nicht immer.«
    »Verzeihung, Schwester.«
    Sie nickte nur. Unaufgefordert fügte sie hinzu: »Ich habe meinen Bruder verbunden, der bei einem Novia-Kampf auftrat. Der Stier riß ihm den Schenkel auf. Ich war die erste, die bei Juan war. Ich habe ihn mit meinem seidenen Unterrock verbunden.«
    Der Oberst spitzte die Lippen, sah Maria Christina abschätzend an. »Das ist also kein freiwilliges Der-Welt-Entsagen hier, oder? Das ist nicht die selbstgewählte Klause, wo Sie, mit Gott verheiratet, ein Leben des Gebets und der Arbeit führen, um später desto eher in den Himmel zu kommen, nicht wahr?«
    Maria Christina antwortete ihm nicht. Sie trat zu dem Scherenfernrohr und blickte hindurch. Sie entdeckte die Köpfe zweier Männer, keine zweihundert Meter von der Mauer entfernt.
    Das Herz begann ihr hart bis in den Hals zu schlagen. Aber sie sagte nichts. Wenn der Colonel nichts sah, dann sah sie auch nichts.

3.
    Brenski dachte sich nichts Arges dabei, als Martino im Schutz der Korkeichen und Weiden in den Bach stieg, um sich zu erfrischen. Er wälzte sich in dem kühlen Wasser, prustete vergnügt, fand eine tiefe Stelle, wo man schwimmen konnte, schwamm.
    »Ein Funkspruch, Camarada Brenski«, sagte Francés. Er kritzelte auf dem Meldeblock mit, denn jetzt hatte er die Kopfhörer aufgesetzt und den Lautsprecher des Geräts ausgeschaltet.
    »Abfahrt schwere Wagen drei Stunden vor Mitternacht«, schrieb er auf.
    Brenski nahm den Zettel, zerriß ihn in kleine Fetzen. Sie würden also drei Stunden früher angreifen müssen als erwartet. Und das bedeutete, daß die Nacionales im Kloster noch hellwach waren. Um neun Uhr mußte Brenskis Kommando im vollen Licht des Mondes angreifen.
    »Die beschissenen, vertrottelten Kerle, die solche Sandkastenspiele aushecken. Diese beschissenen …«, und er sagte noch viel mehr, in dem Landserspanisch, das er so schnell erlernt hatte, und die Leute neben ihm grinsten.
    Er nahm sich die Karte des Geländes noch einmal vor.
    Welch ein Blödsinn überhaupt, von Osten her das Kloster stürmen zu wollen. Auf der anderen Seite jedoch, niemand würde auf eine solche Schnapsidee kommen – also auch die Regulares nicht.
    Nun gut, sie würden im Mondlicht angreifen. Vielleicht bedeckte sich der Himmel. Aber kein Wölkchen war in dem Azurblau zu sehen, das an den Rändern vergilbte, weil der Tag sein helles Seidentuch einrollte. Wie zur Bestätigung begann die Glocke des Klosters zu läuten.
    Sechs Uhr.
    Das Ave Maria würden sie jetzt singen, wie sie es in seiner Kindheit gesungen hatten, in dem kleinen Dorf in der märkischen Heide, die Brenski gar nicht als Heide, sondern als einen einzigen riesigen Kiefernwald mit vielen, vielen Seen in Erinnerung hatte. Jetzt, hier im Gras liegend, roch er die Kiefern in der Sonne, er spürte den kalten Biß des Wassers, wenn er in den See sprang, Ajax ihm hinterher. Und sie schwammen um die Wette, er und der Hund, wobei er sich zurückhielt, um Ajax gewinnen zu lassen. Solch ein Hund war das. Immer im Wasser, immer hinter den Enten her.
    Er zuckte zusammen. Ein Strich Enten stieg auf, schrille Schreckschreie ausstoßend. Das war bachaufwärts, auf das Kloster
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher