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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn
Autoren: Birgit Fiolka
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aufhörst, werden die Satyrn dich holen, und du musst mit ihnen im Wald leben!“ Immer wieder hatte ihre Mutter mit dem Finger gedroht und ihr dann schaurige Geschichten von den Festen der Satyrn und Mänaden erzählt; es waren unheimliche Feste von einer solchen Ausgelassenheit, dass sich Menschen wie Raubtiere benahmen und rohes Fleisch von den Tieren des Waldes in sich hineinschlangen. In ihrem kindlichen Verstand wusste Neaira sich zwar nichts Genaues vorzustellen, doch die Geschichten ihrer Mutter weckten Ahnungen von grauenvollen Dingen, die in den Wäldern vor sich gingen und von Schattenwesen mit Hörnern, Ziegenohren und Pferdeschwänzen, die über junge Mädchen herfielen und sie zwangen mit ihnen zu tanzen. Die Geräusche, die vom Hof und aus den Zimmern an ihre Ohren drangen, ließen sie solch schreckliche Dinge befürchten, von denen ihre Mutter ihr erzählt hatte. Die gesamte Nacht hielt sie sich die Ohren zu und bemühte sich vergeblich um Schlaf, während Metaneira neben ihr weniger ängstlich zu sein schien. Erst gegen Morgen kehrte Ruhe auf dem Hof ein, und Neaira verschlief beinahe den ganzen Tag. Nach den ersten unruhigen Nächten gewöhnte sie sich jedoch an das nächtliche Treiben, zumal sie meist ohnehin neben Metaneira auf das Polster kletterte, anstatt auf ihrer eigenen Schlafmatte zu schlafen. Neugierig fragte sie Metaneira einmal, ob Stratola und die anderen Mädchen nachts auf dem Hof zu Mänaden wurden und sich mit Satyrn zusammentaten. Anscheinend sprach Metaneira jedoch nicht gerne darüber, da sie ihr keine Antwort gab und stattdessen durchkitzelte, sodass Neaira ihre Frage schnell vergaß. Wenn sie aber nachts neben Metaneira lag und die Geräusche vom Hof vernahm, meinte sie zu wissen, dass es so war. Nicht umsonst war Stratola von Anfang an so unfreundlich gewesen, und nicht umsonst schien sogar Metaneira Angst zu haben nachts ihr Zimmer zu verlassen.
    Neaira war sich ganz sicher, das Geheimnis dieses seltsamen Hauses gelöst zu haben. Alle hier waren Diener des Dionysos und seiner Scharen – Stratola, Nikarete, und vor allem Idras – und sie und Metaneira sollten ebenfalls dazu gezwungen werden ihm zu dienen. Als Neaira das erkannt hatte, beschloss sie einmal mehr fortzulaufen. Sie würde Metaneira einfach überreden mit ihr zu gehen. Dann würden sie zusammen ihre Mutter suchen und ihr all das Schreckliche erzählen, was sie erlebt hatten.
    Idras stand wie ein böser schwarzer Schatten in ihrer Tür und verschluckte das spärliche Sonnenlicht, das in das Zimmer schien. Ein paar Tage hatten sie Ruhe vor ihr gehabt, doch nun war sie gekommen. Neaira sah fragend zu Metaneira, die neben ihr auf der Kline gelegen hatte.
    Erkannte die Freundin die Gefahr, in der sie schwebten?
    „Ich soll euch zur Herrin bringen.“ Idras verlor keine Zeit, was für Neaira ein geradezu verräterisches Zeichen war. Metaneira schien nicht argwöhnisch, denn sie erhob sich ohne Zögern oder Murren von der Kline und begann sich anzukleiden. Neaira, die nicht wusste was sie tun sollte, ließ sich unwillig von Metaneira ihren Chiton über den Kopf streifen, nachdem diese sie ermahnte nicht zu bummeln. Danach folgten sie den watschelnden Schritten der Schwarzen hinein in das Haus, während Neaira sich ängstlich an Metaneiras Hand festklammerte. Es bereitete ihr Unbehagen, die rot getünchten Flure des Hauses zu durchqueren, in denen es so schal roch. Doch Neaira tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie die Aussicht darauf hatte, in die Nähe der roten Tür zu gelangen, hinter der die Freiheit wartete. Sie warf einen Seitenblick auf Metaneira. Wenn Metaneira mit ihr fortlaufen würde, könnten sie zusammenbleiben ... irgendwo, wo es schöner war als hier. Sie könnten auch nach ihrer Mutter suchen.
    Neaira war so in Gedanken vertieft, dass sie kaum bemerkte, wie Idras sie ins Andron des Hauses schob. Sie hätte beinahe mit offenem Mund gestarrt, als sie Nikarete mit einer Handarbeit auf einem großen Stuhl sitzen sah, die Füße ordentlich auf einem Fußschemel ruhend. Die dicke weiße Schicht Schminke auf ihrem Gesicht fehlte. Neaira konnte sehen, dass Nikarete älter war, als sie geglaubt hatte.
    Dieses Bild einer arbeitenden Frau passte gar nicht zu Nikarete. Auch dies schien Neaira ein weiterer Beweis dafür, dass sie sich nur tagsüber als Mensch ausgab, während sie nachts Dionysos anrief. Idras schien Neairas Gedanken erraten zu können und belohnte diese mit einem einzigen schmerzhaften Schlag auf
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