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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn
Autoren: Birgit Fiolka
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ihren Rücken, der sie zusammenzucken ließ.
    Mit spitz gefeiltem Fingernagel wies Nikarete beide Mädchen an, sich zu ihren Füßen auf den Boden zu setzen.
    „Es ist Zeit, mit dem Unterricht zu beginnen.“
    Neaira bekam Angst. Würde sie jetzt ihre wahren Absichten verraten, die Spindel fallen lassen und Idras anweisen, sie und Metaneira in einen Wald zu bringen?
    Doch nichts dergleichen geschah, stattdessen brachte Idras eine Kithara und drückte sie Metaneira in die Hand.
    „Spiel etwas“, wies sie Metaneira an, die vorsichtig begann die Saiten zu zupfen und dabei tatsächlich ein Lied zustande brachte. Neaira war erstaunt, und auch Nikarete schien zu gefallen, was sie hörte. Sie fuhr mit ihrer Handarbeit fort. „Gut“, gab Nikarete schließlich nach einer ganzen Weile zu und nickte. Ohne verschleppt oder verzaubert worden zu sein, kehrte Neaira an der Seite von Metaneira zurück in ihr Zimmer im Hof. Sie dankte Aphrodite dafür, dass sie noch einmal davon gekommen waren, und wies es Metaneiras schönem Kitharaspiel zu.
    Insgeheim betete sie dafür, dass Metaneira in allem so gut war, wie im Umgang mit der Kithara, sodass ihr Zeit blieb darüber nachzudenken, wie sie es schaffen konnten zu fliehen.
    Die Götter schienen Neaira tatsächlich gewogen zu sein, denn die Besuche bei Nikarete häuften sich, und Metaneira stellte sich bei allem, was Nikarete von ihr verlangte, geschickt an. Metaneira wurde gezeigt, wie sie ihr Haar zu richten hatte, wie sie Schminke auflegte, aber auch wie sie sich anmutig bewegte. Obwohl Neaira nicht verstand, weshalb Nikarete und Idras das alles taten, verhielt sie sich ruhig und brütete weiter über der Frage, wie sie endlich die rote Tür erreichen konnten. Dabei tat sie möglichst gelangweilt und ließ ihre Blicke über die üppige Einrichtung Nikaretes schweifen - die dick gepolsterten Klinen, die vielen Tücher und Kissen. Auf keinen Fall wollte sie, dass Nikarete erriet worüber sie nachdachte. Wer wusste schon, ob ihr wilder Gott ihr nicht die Kraft gegeben hatte in ihren Kopf zu schauen. Nikarete thronte bei den Unterweisungen stets auf ihrem Stuhl und spann Wolle. Immer wenn Neairas Gedanken abschweiften, erhielt sie von Idras einen Schlag mit dem Stock in den Rücken, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Unterweisungen zu, ohne jedoch wirklich aufmerksamer zu sein.
    „Das Kind ist nicht lernwillig“, stellte Nikarete irgendwann fest. Neaira war es egal.
    Ein paar Tage später erschien Idras am Abend in ihrer Unterkunft, um Metaneira zu holen. Schon den gesamten Tag war Metaneira nervös und kaum ansprechbar gewesen.
    Auf Neairas Fragen war sie kaum eingegangen, und am frühen Abend hatte Metaneira damit begonnen, sich herauszuputzen. Jetzt trug sie einen blassgrünen mit goldenen Fäden durchwirkten Chiton aus Leinen, dessen Stoff so dünn war, dass man ihre Beine durchscheinen sah.
    Goldene Paspeln waren auf die Träger ihres Gewandes genäht. Neaira hatte ihr helfen müssen, das gerstenblonde Haar zu waschen und hochzustecken. Besonders seltsam fand Neaira Metaneiras Gesicht, welches sie wie Nikarete mit einer dicken Paste geweißt hatte – Metaneiras leicht gebräunte Haut schien hinter einer starren Maske verschwunden zu sein.
    Idras hatte eine kleine Schatulle aus Holz mitgebracht, der sie goldene Ohrgehänge und perlenbestickte Bänder entnahm. Sie zupfte noch einmal eigenhändig am hellblauen Gürtel und richtete die Raffung des Chitons, bevor sie zufrieden nickte. Neaira sah es mit zunehmendem Grauen. Als Idras Metaneira am Arm packte, krallte sich Neaira am Bein ihrer Freundin fest. „Du darfst nicht mit ihr gehen.“
    Metaneira lächelte gerührt und umarmte Neaira ein letztes Mal. Dann folgte sie Idras mit anmutigen Schritten, wie sie es von Nikarete gelernt hatte.
    Neaira war verzweifelt. „Du darfst nicht mit ihr gehen, Metaneira. Bitte nicht!“
    Drei Stockschläge landeten auf ihrem Rücken als Idras ihre Hartnäckigkeit zu viel wurde.
    „Keine Sorge, ich bin bald wieder da“, versuchte Metaneira sie zu beruhigen. Dann musste Neaira hilflos zusehen, wie Metaneira hinter der Schwarzen herlief.
    Am frühen Morgen war Metaneira wieder zurück. Neaira, die kein Auge zugetan hatte, fiel ihr erleichtert um den Hals. Sie meinte die unterschiedlichsten Gerüche an Metaneira wahrzunehmen - einen verbrauchten Duft von blumigem Salböl, den sauren Geruch von Wein in ihrem Atem und einen anderen Geruch, den Neaira oft an ihrer Mutter wahrgenommen
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